Die Bestien - Thriller (German Edition)
PROLOG
Er konnte die Schmerzen nicht länger ertragen.
Die ständige Migräne. Das brennende Stechen, jedes Mal, wenn er seinen Kopf bewegte. Eingeweide wie Gelee. Die verrenkte Hüfte. Die Beine zwei verworrene Knoten aus glühendem Stahl – dies waren seine Andenken an den Unfall, und ein vielleicht niemals endender Fluch.
Trotzdem: So schmerzhaft diese Verletzungen auch sein mochten, keine von ihnen tat so weh, wie Rachels Stimme zu hören. Ihre Stimme, so erbarmungslos, als surre ein Moskito in seinem Ohr, klang dabei so klar, als stünde sie direkt neben ihm an diesem Straßenstand.
»Du hast mein Leben zerstört!«
»Ich wünschte, ich hätte dich nie getroffen! Unser Sohn wäre nie gestorben, wenn ich dich nie getroffen hätte!«
»Hau ab und lass mich allein. Ich hasse dich!«
Tag und Nacht quälte ihre geisterhafte Anwesenheit seine Seele.
Craig wusste, dass es nicht so sein musste. Wenn er seinen Stand, diese einsame Nebenstraße, einfach hinter sich lassen und überleben könnte, was immer auch in den Wäldern auf ihn wartete, wäre er endlich von Rachel befreit.
Mit ein wenig Glück würde er in einer Stadt landen und jemanden finden, der ihm seine Blechdose abkaufte. Es stand nirgends in den Regeln, dass er bis in alle Ewigkeit hinter diesem heruntergekommenen Straßenstand bleiben und darauf warten musste, dass irgendwann der oder die Richtige vorbeikam – nicht, wenn er mutig genug war, sich den Wäldern und den tobenden, seelenlosen Tieren zu stellen.
Auf dieser Nebenstraße herrschte nicht gerade viel Verkehr. Er konnte schon von Glück sagen, wenn alle paar Tage ein Auto vorbeifuhr, auch wenn die meisten von ihnen sowieso nicht stehen blieben. Diejenigen, die es doch taten – wie die Frau, die vor ein paar Stunden neben dem Stand angehalten hatte, während ihn die beiden blonden Mädchen, die auf dem Rücksitz des Jeep Cherokee saßen, offen anstarrten –, blieben nur stehen, um nach dem Weg zu fragen: »Verflucht aber auch, wir müssen wohl irgendwie von der Hauptstraße abgekommen sein und uns verfahren haben.«
Es kam also äußerst selten vor, dass jemand anhielt, um tatsächlich eine Blechdose zu kaufen.
Die Frau heute Abend hatte sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, aus ihrem Jeep auszusteigen. Sie hatte nur das Fenster heruntergekurbelt und nach dem Weg zur nächstgelegenen Stadt gefragt, da es bereits dämmerte und sie auf der Suche nach einer Unterkunft war.
Craig hatte sie gar nicht erst gefragt, ob sie eine Dose kaufen wollte – er konnte in ihren Augen erkennen, dass sie nicht zu den Menschen gehörte, die irgendeine alte Dose an einem schäbigen Straßenstand erstanden. Craig schüttelte daher nur den Kopf und erklärte ihr, er kenne hier in der Gegend keine Stadt, und damit war die Sache erledigt. Der Jeep setzte sich wieder in Bewegung, und Craig sah zu, wie sich der Wagen entfernte.
Dann fing er an, ernsthaft darüber nachzudenken, abzuhauen. Er hatte es satt, hinter dem Stand zu warten. Er hatte die Schmerzen satt. Als sich die Dämmerung in Nacht verwandelte, stand sein Entschluss fest.
Die Tiere wussten, dass er ging. Er konnte hören, wie sie kicherten und ihn dafür verspotteten, dass er versuchen wollte, zu fliehen. Sie wollten, dass er blieb, aber wenn er jetzt nicht abhaute, würden sie dafür sorgen, dass er leiden musste – dann würden sie endlich die Rache bekommen, nach der sie so verzweifelt gierten.
Craig sah zu der alten, verrosteten Dose hinunter, die um seinen Hals hing, das Blech blassgrau im Mondlicht.
Sie werden mich nicht kriegen. Ich werde diese Dose mit meinem Leben beschützen, und ich werde es durch diese Wälder schaffen.
Er ließ seinen Blick zu den dreißig Dollar hinüberwandern, die zusammengeknüllt auf dem Tisch neben dem Dutzend weiterer Blechdosen lagen, und überlegte, ob er das Geld an sich nehmen sollte. Dann entschied er sich jedoch, es mit den Tierskeletten und den fetten Fliegen zurückzulassen.
Er setzte seine I ♥ Bush- Kappe ab, wischte sich mit dem Unterarm über die Stirn und kicherte trocken – da war kein Schweiß, den er hätte wegwischen können. Er schüttelte den Kopf, nahm den Arm von der Stirn und setzte seine Mütze wieder auf.
Die Macht der Gewohnheit.
Angesichts der langen Tage und des stets taubenblauen Himmels, in dem die grelle Sonne brannte, hätte man meinen können, es sei Sommer, und ein verflucht heißer Sommer obendrein – solche Tage hatte er immer geliebt.
»Zeit zu gehen«,
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