Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
Winnetou lügen nicht; das merke dir! Wir haben über deine Dummheit lachen müssen, als wir hörten, daß du uns fangen wolltest. Ein noch viel höherer, ja ein geradezu unbegreiflicher Grad von Dummheit aber war es, daß du deine Leute hier in das Birch-Hole führtest, um das Camp überfallen zu lassen. Du hast sie da in eine Falle geführt, die wir nur zuzumachen brauchten, um alle deine Krieger so fest zu haben, wie man Vögel in einem Netze fängt!«
Jetzt begann dem Komantschen endlich so nach und nach die Erkenntnis zu dämmern, daß seine Lage eine viel schlimmere sei, als er bisher angenommen hatte. Zwar gab es eine Stimme in ihm, sich dieser Erkenntnis noch zu verschließen; aber die stolze Sicherheit, mit welcher Old Shatterhand vor ihm stand und zu ihm sprach, ließ keinen Zweifel darüber zu, daß das Spiel, welches die Komantschen so leicht zu gewinnen gehofft hatten, für sie verloren sei. Er war gebunden, also vollständig machtlos; er sah das Feuer hoch und breit lodern, welches seinen Leuten den Ausgang aus der Falle verwehrte; aber er kannte den Umstand noch nicht, daß die Höhen der Schlucht rundum besetzt waren, und noch viel weniger wußte er, daß ihm bewiesen werden konnte, welche Absichten er verfolgt hatte, und so hielt er es trotz seiner schlimmen Lage noch immer für möglich, der Strafe entgehen und den, wenn auch vollständig beutelosen Rückzug antreten zu können. Freilich, dumm genannt zu werden, das war für jeden Indianer, um wieviel mehr für ihn, eine Beleidigung, die nur mit Blut abgewaschen werden konnte. Der Grimm, den er darüber empfand, war viel größer als die Sorge, welche ihn zur Vorsicht mahnte, und so knirschte er wütend hervor, indem er an seinen Fesseln zerrte:
»Du nennst Tokvi-Kava dumm! Wäre ich nicht gebunden, ich würde dich zermalmen, wie der Grizzlybär den Koyoten, der ihn ankläfft, mit einem einzigen Schlage seiner Tatze zu Brei zerschlägt!«
» Pshaw! Vergleiche dich ja nicht mit dem grauen Bären! Auch das ist eine Dummheit, wie man sie sich gar nicht lächerlicher denken kann!«
»Schweig! Vergiß ja nicht, mit wem du redest! Ich verlange, freigelassen zu werden! Oder vermagst du, die Behauptungen zu beweisen, welche du ausgesprochen hast?«
»Hast du jemals gehört, daß Old Shatterhand etwas behauptet habe, was er nicht beweisen konnte?«
»So sprich!«
»Höre, Halunke, bemühe dich eines andern Tones, wenn du nicht willst, daß dein Rücken sich unter den Hieben krümmt, die ich dir für solche Frechheit geben lasse! Du hast hier keine Befehle zu erteilen. Nicht ich habe mich vor dir, sondern du hast dich vor uns zu verantworten, und wenn du dies nicht höflich thust, so stehen uns genug Mittel zur Verfügung, dich höflich zu machen. Glaube nicht, uns betrügen zu können! Lügen haben keine Wirkung. Uebrigens, wenn du dich so stolz den obersten Häuptling der Naiini-Komantschen nennst, so denke ich, daß du auch viel zu stolz sein wirst, die Unwahrheit zu sagen. Ihr seid hierhergekommen, um das Camp zu überfallen?«
»Nein!«
»Du hattest Ik Senanda, deinen Enkel, hierhergeschickt, diesen Ueberfall vorzubereiten?«
»Nein!«.
»Du warst gestern abend hier und hast mit ihm gesprochen?«
»Nein!«
Dieses dreimal Nein hatte einen so bestimmten, abweisenden, stolzen Klang, daß der Engineer zornig ausrief:
»Diese Unverschämtheit! Er muß uns doch geradezu für dumme Jungens halten! Ich habe große Lust, ihm seine alte Jacke ausziehen zu lassen, damit seine rote Haut Bekanntschaft mit einem guten Stocke machen kann!«
Old Shatterhand fuhr, noch immer zu dem Häuptling gewendet, fort:
»Ich gebe diesem weißen Gentleman sehr recht. Es ist eine Feigheit sondergleichen, in einer solchen Lage so bestimmt zu leugnen. Ich würde alles gestehen und dadurch selbst den Feind zwingen, mich zu achten.«
»Was Tokvi-Kava nicht gethan hat, das kann er nicht gestehen,« antwortete der Komantsche.
»So bist du also gestern abend wirklich nicht hier gewesen?«
»Nein!«
»Hast nicht mit zwei Chinesen gesprochen?«
»Nein!«
»Und ihnen unsre drei Gewehre abgenommen?«
»Nein!«
»Auch nicht mit unsern drei Pferden fortgeritten?«
»Nein!«
»Aber leugnen wirst du wohl nicht, deinen Enkel Ik Senanda zu kennen?«
»Den kenne ich.«
»Er hat sich hier Yato Inda genannt?«
»Das ist ganz unmöglich, denn mein Enkel war noch niemals hier.«
»Wo befindet er sich jetzt?«
»Daheim, auf den Weideplätzen unsres Stammes.«
»Du irrst. Du
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