Sämtliche Werke
Sie wollen. Und nun haben Sie hier eine so schöne Position, könnten Sie mir einiges Geld überlassen?« »Sie vertrinken es ja bloß wieder«, sagte Karl, »da sehe ich in Ihrer Tasche sogar irgendeine Branntweinflasche, aus der Sie gewiß, während ich weg war, getrunken haben, denn anfangs waren Sie ja noch ziemlich bei Sinnen.« »Das ist nur zur Stärkung, wenn ich auf einem Wege bin«, sagte Robinson entschuldigend.
»Ich will Sie ja nicht mehr bessern«, sagte Karl.
»Aber das Geld!« sagte Robinson mit aufgerissenen Augen.
»Sie haben wohl von Delamarche den Auftrag bekommen, Geld mitzubringen. Gut, ich gebe Ihnen Geld, aber nur unter der Bedingung, daß Sie sofort von hier fortgehen und niemals mehr mich hier besuchen. Wenn Sie mir etwas mitteilen wollen, schreiben Sie an mich. Karl Roßmann, Liftjunge, Hotel Occidental, genügt als Adresse. Aber hier dürfen Sie, das wiederhole ich, mich nicht mehr besuchen. Hier bin ich im Dienst und habe keine Zeit für Besuche. Wollen Sie also das Geld unter dieser Bedingung?« fragte Karl und griff in die Westentasche, denn er war entschlossen, das Trinkgeld der heutigen Nacht zu opfern. Robinson nickte bloß zu der Frage und atmete schwer. Karl deutete das unrichtig und fragte nochmals: »Ja oder nein?« Da winkte ihn Robinson zu sich heran und flüsterte unter Schlingbewegungen, die schon ganz deutlich waren: »Roßmann, mir ist sehr schlecht.«
»Zum Teufel«, entfuhr es Karl, und mit beiden Händen schleppte er ihn zum Geländer. Und schon ergoß es sich aus Robinsons Mund in die Tiefe. Hilflos strich er in den Pausen, die ihm seine Übelkeit ließ, blindlings zu Karl hin. »Sie sind wirklich ein guter Junge«, sagte er dann, oder: »Es hört schon auf«, was aber noch lange nicht richtig war, oder: »Die Hunde, was haben sie mir dort für ein Zeug eingegossen!« Karl hielt es vor Unruhe und Ekel bei ihm nicht mehr aus und begann auf und ab zu gehen. Hier, im Winkel neben dem Aufzug, war ja Robinson ein wenig versteckt, aber wie, wenn ihn doch jemand bemerkte, einer dieser nervösen, reichen Gäste, die nur darauf warten, dem herbeilaufenden Hotelbeamten eine Beschwerde mitzuteilen, für welche dieser dann wütend am ganzen Hause Rache nimmt, oder wenn einer dieser immerfort wechselnden Hoteldetektive vorüberkäme, die niemand kennt außer der Direktion und die man in jedem Menschen vermutet, der prüfende Blicke, vielleicht bloß aus Kurzsichtigkeit, macht. Und unten brauchte nur jemand bei dem die ganze Nacht nicht aussetzenden Restaurationsbetrieb in die Vorratskammern zu gehen, staunend die Scheußlichkeit im Lichtschacht zu bemerken und Karl telephonisch anzufragen, was denn um Himmels willen da oben los sei. Konnte Karl dann Robinson verleugnen? Und wenn er es täte, würde sich nicht Robinson in seiner Dummheit und Verzweiflung statt aller Entschuldigung gerade nur auf Karl berufen? Und mußte dann nicht Karl sofort entlassen werden, da dann das Unerhörte geschehen war, daß ein Liftjunge, der niedrigste und entbehrlichste Angestellte in der ungeheueren Stufenleiter der Dienerschaft dieses Hotels, durch seinen Freund das Hotel hatte beschmutzen und die Gäste erschrecken oder ganz vertreiben lassen? Konnte man einen Liftjungen weiter dulden, der solche Freunde hatte, von denen er sich überdies während seiner Dienststunden besuchen ließ? Sah es nicht ganz so aus, als ob ein solcher Liftjunge selbst ein Säufer oder gar etwas Ärgeres sei, denn welche Vermutung war einleuchtender, als daß er seine Freunde aus den Vorräten des Hotels so lange überfütterte, bis sie an einer beliebigen Stelle dieses gleichen, peinlich rein gehaltenen Hotels solche Dinge ausführten, wie jetzt Robinson? Und warum sollte sich ein solcher Junge auf die Diebstähle von Lebensmitteln beschränken, da doch die Möglichkeit zu stehlen bei der bekannten Nachlässigkeit der Gäste, den überall offenstehenden Schränken, den auf den Tischen herumliegenden Kostbarkeiten, den aufgerissenen Kassetten, den gedankenlos hingeworfenen Schlüsseln wirklich unzählige waren? Gerade sah Karl in der Ferne Gäste aus einem Kellerlokal heraufsteigen, in dem eben eine Varietévorstellung beendet worden war. Karl stellte sich zu seinem Aufzug und wagte sich gar nicht nach Robinson umzudrehen, aus Furcht vor dem, was er zu sehen bekommen könnte. Es beruhigte ihn wenig, daß er keinen Laut, nicht einmal einen Seufzer, von dort hörte. Er bediente zwar seine Gäste und fuhr mit ihnen auf und
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