SÄURE

um 4 Uhr 30 durch das Klingeln an ihrer Türe geweckt. Als sie die Türe öffnete, schwang der Mann, ein angeblicher Telegrammbote, drohend eine Flasche und schüttete ihr deren Inhalt ins Gesicht. Die Frau brach schreiend zusammen, während der Attentäter zu Fuß entkam. Der Beschreibung nach handelt es sich um einen Neger, ca. 1,80 m groß und etwa 80 Kilo schwer.
    Das Opfer wurde in das Presbyterian Hospital in Hollywood eingeliefert, wo man ihre Gesichtsverbrennungen dritten Grades behandelte. Ein Sprecher des Krankenhauses beschrieb ihren Zustand als »ernst aber stabil«. Sie ist außer Lebensgefahr, leidet aber unter enormen Schmerzen, da das Gewebe ihrer linken Gesichtshälfte weitgehend zerstört ist. Wie durch ein Wunder blieben ihre Augen verschont.
    Ein Sprecher von Apex brachte »den Schock und das tiefe Bedauern des Studios über diesen schrecklichen und völlig widersinnigen Anschlag auf die talentierte Gina Prince« [Künstlername von Miss Paddock] zum Ausdruck. »Wir werden alles tun, um den Behörden dabei zu helfen, daß der Täter dieses abscheulichen Verbrechens schnellstmöglich ergriffen wird.«
    Das Opfer wurde 1946 in Denver, Colorado, geboren. Sie zog im Alter von 19 Jahren nach Los Angeles, wo sie von der angesehenen Agentur Flax als Fotomodell und Mannequin engagiert wurde. Sie eroberte sich bald einen Platz in ›Glamour‹ und ›Vogue‹. Nach ihrem Weggang von Flax wechselte sie zu der inzwischen nicht mehr existierenden Belle-Vue-Agentur, um dann aber ihre Arbeit als Modell aufzugeben. Sie ließ sich schließlich bei der Agentur William Morris eintragen und wurde dann von Apex als Schauspielerin unter Vertrag genommen.
    Obwohl sie derzeit noch keine Filmrolle übernommen hatte, sei sie für »mehrere bedeutende Rollen vorgesehen gewesen. Sie ist eine sehr begabte und schöne junge Dame. Wir werden alles tun, um dafür zu sorgen, daß ihre Karriere durch dieses tragische Geschehnis nicht in Mitleidenschaft gezogen wird«, erklärte der Sprecher des Studios.
    Die Polizei ist noch auf der Suche nach dem Angreifer. Sie bittet, etwaige Informationen an die Detektive Savage oder Flores der Polizei von Los Angeles, Abteilung Hollywood, weiterzuleiten.
    In der Mitte des Artikels war ein Gesicht abgebildet, das vermutlich vom Titelblatt eines Vogue-Heftes stammte: ein ovales Gesicht, das von langem, glattem hellblondem Haar, der Mode jener Zeit entsprechend, umrahmt wurde; geschwungene Augenbrauen, hohe Backenknochen, große, helle Augen und Schmollmund sowie ein langer, schlanker Hals - die schattenhafte Perfektion eines Photos, das von Avedon hätte stammen können.
    Ich dachte darüber nach, was Säure solcher Perfektion antun könnte, verdrängte den Gedanken und versuchte, das Photo ganz objektiv zu betrachten.
    Die Gesichtszüge ähnelten Melissas, übertrafen sie aber an Vollendung. Ich fragte mich, ob die Pubertät bei Melissa die Schönheit herausbringen würde, die ihre Mutter hatte.
    Ich drehte am Knopf des Lesegeräts. Am nächsten Tag hatte die Zeitung eine Verlautbarung des Krankenhauses über Gina Paddocks Zustand veröffentlicht. Er wurde als ›stabil‹ bezeichnet. Hinweise auf den Täter gab es nicht. Es folgte eine weitere Sympathiebezeugung des Studios, dazu die Ausschreibung einer Belohnung in Höhe von $ 5.000 für Hinweise, die zur Ergreifung des Täters führten. Aber keine weiteren Versprechungen hinsichtlich einer unbeeinträchtigten beruflichen Laufbahn. Ich drehte weiter. Zwei Wochen später:
    Säureattentat: Verdächtige Person festgenommen Verhaftung aufgrund anonymen Hinweises (Los Angeles)
     Die Polizei gab die Verhaftung einer Person bekannt, die im Verdacht steht, das Säureattentat auf die Schauspielerin Gina Prince (Regina Marie Paddock) am frühen Morgen des 3. März verübt zu haben, das bei dem Topmodell dauerhafte Schäden im Gesicht verursacht hat.
    Die Verhaftung von Melvin Louis Findlay, 28, in Süd-Los Angeles wurde um 23 Uhr auf der Pressekonferenz durch den Kommandeur des Dezernats von Hollywood, Bryce Donnerndster, bekanntgegeben. Er bezeichnete Findlay als einen bekannten Schwerverbrecher, der vor kurzem auf Bewährung aus dem Zuchthaus in Chino entlassen worden sei, wo er von einer dreijährigen Haftstrafe wegen Erpressung 18 Monate abgesessen hatte. Findlay ist außerdem wegen Überfalls, Diebstahls und Autodiebstahls vorbestraft.
    »Unsere Beweismittel reichen voll und ganz für eine Anklageerhebung gegen diese Person aus«, kommentierte