Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition)
wahr.«
»Sie wollen dich nicht zurückhaben.«
»Doch, das wollen sie.«
Es war eine weitere Lüge. Es würde nie eine Lösegeldforderung geben. Wie kann man etwas bezahlen, wenn keiner den Preis kennt?
Wir lagen aneinandergekettet auf dem Bett, sahen fern und warteten auf Neuigkeiten. Derweil guckte auch der Rest des Landes in die Glotze und wartete auf Neuigkeiten. Jeder gab seinen Senf dazu. Jedes Gerücht wurde analysiert. Laut einer Geschichte waren wir von einem Internet-Pädophilen entführt worden. Er hatte uns online in einem Chatroom kennengelernt und uns dazu gebracht, uns auszuziehen. Von wegen!
Eine Hellseherin aus Bristol sagte, wir seien tot, und unsere Leichen seien ins Wasser geworfen worden.
Die Polizei setzte im Fluss bei Abingdon Schleppnetze ein und durchsuchte Dutzende von Brunnen und Abwasserkanälen.
Mrs Jarvis, unsere Nachbarin, erzählte der Polizei, dass sie einen Mann gesehen hätte, der durch ihr Schlafzimmerfenster gespäht hatte, als sie sich auszog. Darüber musste Tash lachen. »Die Jarvis lässt jeden Abend die Vorhänge auf und hofft, dass irgendjemand guckt.«
Ein Londoner Taxifahrer behauptete, uns vor einem Kino in Finchley gesehen zu haben. Und ein Autofahrer in High Barnet berichtete, er habe zwei Mädchen hinten in einem weißen Transporter gesehen, die ihre Hände an die Rückscheibe gepresst hätten.
Warum ist es immer ein weißer Transporter? Nie sieht jemand, dass Kinder von Leuten in violetten oder gelben Transportern verschleppt werden.
Tashs Bruder Hayden wurde ständig interviewt und erzählte den Reportern, dass er auf einem Feld in der Nähe von Bingham einen Mann gesehen hätte, der sich verdächtig benommen hatte. Er führte sie an die genaue Stelle. Als er von Tash sprach, hätte er fast geweint, er wischte sich immer wieder die Augen und drohte, jeden umzubringen, der ihr etwas antun würde.
Es ist erstaunlich, wie dünn man die Wahrheit auswalzen kann, so dünn, dass sie wahrscheinlich verschwinden würde, wenn man sie zur Seite kippen würde. Es war, als hätte man eine Fantasieversion unseres Lebens erfunden und so getan, als wäre sie real.
Die Sun setzte eine Belohnung von 200 000 Pfund für Hinweise aus, die zu unserer Entdeckung führen würden. Wir wurden plötzlich in Bristol, Manchester, Aberdeen, Lockerbie und Dover gesichtet – kurzfristig machte sich Hoffnung breit und dann wieder Verzweiflung.
Die Oxford Mail enthüllte, dass es 984 registrierte Sexualstraftäter in Oxfordshire gebe. Mehr als dreihundert davon lebten im Umkreis von fünfundzwanzig Kilometern um Bingham. Wer hätte gedacht, dass so viele Perverse in der Nähe wohnen?
Einer von ihnen war der alte Mr Purvis, der ein Haus gegenüber vom Stadtpark hat. Er ist so ein unheimlicher alter Typ, der am Bahnhof rumhängt und den Mädchen erzählt, sie würden ihn an seine Tochter erinnern.
Die Polizei hat Mr Purvis’ Garten umgegraben, jedoch nur das Skelett seines Hunds Buster gefunden. Aber bis dahin demonstrierten die Leute vor seinem Haus und nannten ihn einen Pädo und Kindermörder.
Die Polizei musste ihn retten. Sie brachten ihn mit einer Decke über dem Kopf weg. Man konnte nur seine weite Hose und seine braunen Schuhe sehen. Eine Socke war heruntergerutscht. Irgendjemand zog die Decke weg, und Mr Purvis sah aus wie ein verängstigter alter Mann.
Danach wurde es nur noch schlimmer. Tashs Onkel Victor erstellte eine Liste von Leuten, die neu in Bingham waren – vor allem Ausländer. Außenseiter. Zusammen mit einem Kumpel, einem Klempner, trommelte er einen Trupp »besorgter Einheimischer« zusammen. Dann fuhren sie von Haus zu Haus, sagten, jemand hätte ein Gasleck gemeldet, und sie hätten das Recht, sich Zutritt zu verschaffen.
Die Polizei nahm Victor fest, allerdings erst nach einem Handgemenge. Er erklärte den Fernsehkameras, die Polizei würde nicht genug unternehmen. Die Polizeiwache in Bingham hätte niemals geschlossen werden dürfen, sagte er. Ich wusste gar nicht, dass hier früher einmal eine Polizeiwache gewesen war.
Dieselben Leute, die schnell Tränen vergossen, waren auch fix mit Hass … und mit Kritik. Der Polizei wurden Fehler vorgeworfen. Sie reagiere zu langsam oder überstürzt, verfolge Spuren, die in Sackgassen endeten, während sie das Offensichtliche übersehe, und lasse obendrein die Familien im Ungewissen.
Als der Chor laut genug geworden war, schoss die Polizei zurück. Gerüchte machten die Runde. Wir waren nicht die Engel, als die
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