Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition)
Träne kullert über ihre Wange wie eine kleine Murmel und bleibt am Rand der Sauerstoffmaske hängen.
Es war immer klar, dass dies die härteste Nachricht sein würde, und sie wird ihr mehr wehtun, als sich irgendjemand vorstellen kann: Sie bleibt allein zurück mit der Schuld der Überlebenden und dem Gefühl, dass die Welt sich ohne sie weitergedreht hat. Es gibt niemanden mehr, der versteht, was sie durchgemacht hat.
51
Es ist nach Mitternacht, als ich bei unserem alten Haus ankomme. Der Schlüssel liegt unter dem dritten Backstein, gleich neben dem Fingerhut. Ich schließe die Tür auf und versuche, im Licht der Weihnachtsbeleuchtung möglichst leise durch den Flur zu kommen.
Im Wohnzimmer lasse ich mich auf das Sofa fallen und schließe die Augen, zu erschöpft, um die Treppe hochzugehen, zu aufgedreht, um zu schlafen.
»Hallo.«
Julianne steht in der Tür. Sie trägt einen Flanellschlafanzug. Sie kauft sie immer zwei Nummern zu groß, weil sie so bequemer sind, sagt sie. Die Hose hängt tief in der Hüfte, und das aufgeknöpfte Oberteil enthüllt den Schatten zwischen ihren Brüsten.
»Ich hab es in den Nachrichten gehört«, sagt sie. »Wird sie durchkommen?«
»Ja.«
»Es hieß, ein Mann sei erschossen worden.«
Ich nicke.
Meine Hände zittern. Ich sehe ihr in die Augen, und etwas Kleines und Zartes in mir zerreißt. Ich spüre die Tränen. Ich versuche, sie zurückzuhalten. Julianne setzt sich neben mich und drückt ihr Gesicht an meins.
Ich schluchze.
Sie tröstet mich.
»Ich habe einen Mann getötet.«
»Du hast ein Mädchen gerettet.«
Sie hat ihre Arme um mich geschlungen und wiegt mich hin und her wie ein Kind.
»Als ich die Pistole in der Hand hielt, musste ich die ganze Zeit an Charlie denken. Daran, wie Gideon Tyler sie entführt hat. Ich konnte mich erinnern, wie hilflos ich mich gefühlt habe, wie vollkommen und absolut nutzlos. Ich weiß noch, wie du hier in diesem Raum gestanden hast und mich nicht ansehen konntest. Ich wusste nicht, was ich zu dir sagen sollte. Ich konnte es nicht besser machen. Ich konnte deinen Schmerz nicht teilen, weil ich wusste, wenn ich dein Leid und deine Wut auch noch auf mich nehme, werde ich verdammt noch mal davon erdrückt … das hätte ich nicht überlebt.«
»Quäl dich nicht, Joe.«
»Das war der Anfang vom Ende für uns. Ich wusste es. Du wusstest es.«
»Charlie geht es gut. Du musst aufhören, dich selbst zu bestrafen.« Sie streicht über mein Haar. »Ich finde, du solltest mit jemandem reden.«
»Mit wem?«
»Du solltest dir professionelle Hilfe suchen.«
»Du denkst, ich sollte mir einen Therapeuten suchen?«
»Ja.«
»Gehst du zu einem?«
Sie nickt. »Es hilft.«
»Zu wem?«
»Das sage ich dir nicht. Du würdest mir erklären, dass es einen besseren gibt.«
Ich versuche zu lachen, weil ich weiß, dass sie recht hat. Wir bleiben lange so sitzen, lauschen der Stille und genießen die Wärme des anderen.
»Wie war Weihnachten?«, frage ich.
»Verschoben.« Sie zeigt auf den Weihnachtsbaum, unter dem bunt eingepackte, ungeöffnete Geschenke liegen. »Wir haben beschlossen, dass wir nicht ohne dich Weihnachten feiern wollen, also haben wir es auf morgen verschoben … oder sollte ich besser sagen auf heute?«
»Was ist mit dem Weihnachtsmann?«
»Oh, er war da.«
»Und Emma wollte ihre Geschenke nicht auspacken?«
»Doch, das wollte sie schon. Es hätte sie fast umgebracht. Aber sie wollte auch, dass du hier bist.« Sie küsst mich sanft auf die Lippen. »Das wollten wir alle.«
Julianne löst ihren Körper von meinem, steht auf und zieht mich auf die Füße. »Ab ins Bett mit dir.«
»Lass mich hier schlafen.«
»Nein.«
Sie führt mich nach oben und bleibt vor Emmas offener Tür stehen. Wir betrachten unsere Jüngste, die inmitten von Stofftieren und ihren wunderbar fantasievollen Gemälden schläft.
Dann kommen wir an Charlies Zimmer vorbei. An der Tür hängt ein Zettel, der kleinen Schwestern und allen anderen unter einer bestimmten Körpergröße den Zutritt verbietet. Daneben ist nützlicherweise eine Messlatte angebracht.
Julianne bleibt nicht vor dem Gästezimmer stehen. Sie zieht mich weiter in das Schlafzimmer, das wir einmal geteilt haben, und hilft mir beim Ausziehen. Als ich etwas sagen will, legt sie einen Finger auf meine Lippen, zieht mich ins Bett und meine Arme um ihren Körper und über ihre Brüste.
Ich rieche ihr Haar. Ich spüre ihr Herz. Ich höre ihr beim Schlafen zu. Mehr will ich nicht.
Ich
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