Sag mir, wo die Mädchen sind
Arbeit selbst fand er nach wie vor interessant, aber der Papierkrieg und die Pflicht, Erfolge vorzuweisen, nagten an der akademischen Freiheit, was Antti mindestens einmal wöchentlich zur Weißglut trieb. Auch jetzt wirkte er so angespannt, dass ich ihn lieber nicht fragte, was es Neues gab. Iida marschierte ein Stück vor uns zur Bushaltestelle, und Taneli machte abwechselnd Wechselschritte und Scherensprünge. Iida hatte im letzten Sommer erklärt, sie wolle mit dem Formationseiskunstlauf aufhören; dagegen trainierte Taneli noch eifriger als zuvor im Solo und legte die leichteren doppelten Sprünge bereits mühelos hin. Es gefiel ihm, nicht mehr im Schatten seiner großen Schwester zu stehen. Der Eiskunstlauf war nun nur noch seine Sportart, und er war deutlich begabter als Iida.
Im Bus forderte Iida plötzlich, nach Tapiola fahren zu dürfen, statt mit uns nach Leppävaara zu den Koivus. Im Mädchenclub, den sie immer häufiger besuchte, stand wie jeden Freitag Improvisationstheater auf dem Programm.
«Nächste Woche!», fuhr Antti sie so heftig an, dass sie verstummte. Im Allgemeinen schimpfte Antti nicht mit den Kindern, sondern überließ mir das Kommando. Iida funkelte ihren Vater erbost an und legte dann demonstrativ eine weitere Schicht Lipgloss auf ihre Lippen, die ohnehin bereits glänzten wie ein Spiegel.
Bei Koivus roch es nach Chili und Zitronengras, Anu hatte vietnamesisch gekocht. Iida hörte auf zu meckern und spielte mit Sennu Friseur, während Juuso Taneli zu einem Brettspiel holte und Jaakko den beiden folgte. Pekka servierte Aperitifs, und nach einigen Schlucken wirkte Antti schon sichtlich entspannter. Er bemerkte sogar meinen Schmuck und fragte, ob er neu sei.
«Heute per Post gekommen, von Ulrike Müllers Mutter.»
«Auf Ulrike», sagte Pekka und hob sein Glas. Anu und er hatten Ulrike kennengelernt, als wir mit den afghanischen Kursteilnehmerinnen das Polizeipräsidium in Espoo besucht hatten. Wir stießen schweigend an. Iidas und Sennus Lachen drang aus dem Elternschlafzimmer, in das sie sich zurückgezogen hatten, um ungestört ihre Frisuren ausprobieren zu können. Schließlich brach Pekka das Schweigen.
«Hat man eigentlich herausgefunden, wie die Bombe auf die Straße gekommen war, die doch streng überwacht und sicher sein sollte?»
«Die Einheit, die den Straßenabschnitt kontrollieren sollte, war angegriffen worden, das heißt, zuerst hat die Kontrolle versagt und dann die Kommunikation. In der Woche darauf hat an derselben Stelle eine Bombe Mitarbeiter des Roten Halbmonds getötet. Auch unter ihnen waren Frauen. Hinter den Anschlägen stecken wahrscheinlich Drogenbarone, die sich durch die Verstärkung der Polizeikräfte bedroht fühlen. Es ist unmöglich, mit ihnen zu verhandeln.»
Während meines Aufenthalts in Afghanistan hatte ich einige Frauengefängnisse besucht. Die meisten Häftlinge waren nach finnischem Maßstab keine Kriminellen; in den Zellen saßen unter anderem vergewaltigte Frauen und blutjunge Mädchen, die vor einer Zwangsehe mit einem mehrere Jahrzehnte älteren Mann geflohen waren. Das Gefängnis war beinahe eine Art Asyl, obwohl man sich nicht immer auf den Gerechtigkeitssinn der Wärterinnen verlassen konnte. Von den Taliban wurde das Gefängnis ebenso abgelehnt wie die Polizeischule, weil dort auch Frauen ausgebildet werden sollten. Die Arbeit der Schule, die wir gegründet hatten, stützte sich nicht auf die Scharia, sondern auf den Gedanken, dass demokratische Polizeikräfte jeden gleich behandelten und sich nicht bestechen ließen. Obwohl ich mich nur zehn Tage im Land aufgehalten hatte, war mir klargeworden, wie utopisch das Projekt war. Viele der aktiven Polizisten konnten nicht einmal lesen, und Korruption war an der Tagesordnung. Einer der bisher schlimmsten Rückschläge hatte sich Anfang Februar ereignet, als ein Mann in Polizeiuniform zwei schwedische Soldaten und einen Dolmetscher erschossen hatte. Auch estnische Opfer hatte es bereits gegeben, und früher oder später würden auch Finnen ihr Leben lassen.
Nach dem Afghanistan-Projekt hatte ich weiterhin periodisch an der Polizeifachhochschule in Tampere unterrichtet. Am nächsten internationalen Polizistinnenkurs hatten Frauen aus den von Kriegen geschwächten Ländern Afrikas teilgenommen, unter anderem aus dem Sudan, aus Somalia und dem Kongo. Die Abschlussfeier hatte Anfang Februar stattgefunden, und danach hatte turnusgemäß Schweden die Verantwortung für die von der EU finanzierte
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