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Sag mir, wo die Mädchen sind

Sag mir, wo die Mädchen sind

Titel: Sag mir, wo die Mädchen sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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wie ich ihr Leben anvertrauen konnte. Nun war er wütend über den Fehlschlag.
    Ich beobachtete den jungen französischen Offizier, der sein Minensuchgerät langsam hin und her schwenkte. Er sah aus wie eine Osterhexe, die mit einem modernisierten Besen um das Feuer tanzt. Die Ethik finnischer Soldaten besagte, dass man einen Kameraden nicht im Stich lässt, doch man hatte uns streng verboten, unser Leben zu riskieren, um andere zu retten. Ulrike und ich waren für die Ausbildung weiblicher Polizeikräfte zuständig gewesen, wir waren Freundinnen geworden. Ich dachte an Ulrikes blonden Dutt, aus dem sich immer wieder einzelne Locken lösten, und spürte den Geruch brennender Haare in der Nase. Ich konnte nur hoffen, dass Ulrike sofort tot gewesen war. Es war reiner Zufall, dass der Wagen der Deutschen auf dem Rückweg von Dschalalabad nach Kabul an der Spitze des Geleitzugs gefahren war.
    Der zweite französische Soldat hatte einen Schaumlöscher zur Hand genommen, der jedoch gegen die hoch aufschlagenden Flammen machtlos war. Nun stiegen auch die Briten aus, sie hatten ein effektiveres Löschgerät. Als Numminen erneut Anstalten machte, den Wagen zu verlassen, legte Vala ihm eine Hand auf die Schulter. Mehr brauchte es nicht, Numminen ließ sich auf seinen Sitz zurückfallen.
    Vala hatte sein Gespräch beendet. «Baxter weiß nicht, was schiefgelaufen ist. Die zwölfte Abteilung des vierzehnten Bataillons sollte die Straße überwachen. Die Verbindung zu dem Trupp ist abgebrochen. Hilfe ist unterwegs, die Hubschrauber starten gerade im nächsten Stützpunkt der NATO -Truppen, zehn Kilometer von hier. Die Kavallerie kommt also, aber viel zu spät. Wie hieß es noch in den Festreden? Die neue Polizeischule ist ein großer Schritt in Richtung Demokratie und ein Hoffnungsfunke für das vom Krieg gebeutelte Land. Na, der Funke hat ein prächtiges Feuer entzündet.»
    Ich hatte nicht die Kraft, ihm zu antworten. In Todesangst reden Menschen oft dummes Zeug. Allerdings wünschte ich mir, Vala würde den Mund halten, denn ich konnte keine Worte ertragen. Noch nie hatte ich mich so klein und hilflos gefühlt wie in diesem Moment in der trostlosen, lichtlosen Wüste, wo vor meinen Augen drei Menschen zu Asche wurden.

[zur Inhaltsübersicht]
    1
    E s war noch hell am frühen Februarabend, die Sonne färbte die einen Meter hohe Schneewehe in unserem Garten zartblau. Als ich die Tür öffnete, stieg mir Schokoladenduft in die Nase. Taneli saß mit einer Tasse Kakao am Küchentisch und las Comics. Aus Iidas Zimmer kam Musik, ich erkannte die schicksalsschwere Stimme von Nina Hagen. Meine Tochter hatte einen Teil ihrer musikalischen Vorlieben von mir geerbt. Wie jeden Tag hatte sie die Post aus dem Kasten geholt, als sie von der Schule kam. Auf dem Küchentisch lagen die Freitagszeitungen, Anttis Handyrechnung und ein dicker, gefütterter Briefumschlag im Format DIN  A 4 , dessen ursprüngliche Adresse krakelig durchgestrichen war. Der Brief war zunächst an die Polizeiabteilung des finnischen Innenministeriums geschickt und von dort an mich weitergeleitet worden. Der fleckige, zerdrückte Umschlag ließ darauf schließen, dass die Sendung mit Metalldetektoren, Bombenspürhunden und Röntgengeräten untersucht worden war.
    Der Brief war in München abgestempelt, als Absenderin war Helga Müller, Kurfürstenstraße  13 , angegeben. Ich nahm die Schere aus dem Ständer und schnitt den Umschlag vorsichtig auf. Er enthielt ein Schmuckkästchen aus glattpoliertem Holz, allem Anschein nach Birke, und einen Brief, auf dem mein Name stand: «Oberkommissarin Maria Kallio». Da ich wusste, von wem der Brief kam, zögerte ich, ihn zu lesen.
    Er war auf lindgrünem Papier geschrieben, in klarer und akkurater Handschrift, mit einfachen englischen Sätzen, die allerdings einige grammatikalische Fehler enthielten.
    «Sehr geehrte Oberkommissarin Kallio. Erst jetzt sind meine Kräfte so weit wiederhergestellt, dass ich fähig bin, den letzten Wunsch meiner Tochter Ulrike zu erfüllen. Vor der Abreise nach Afghanistan hat sie ihr Testament gemacht; darin bittet sie mich, ihren Schmuck unter ihren Freunden zu verteilen. Ich bin Ihnen nie begegnet, aber meiner Meinung nach passt dieses Schmuckstück zu einer Finnin. Ulrike hat Sie sehr geschätzt; sie hat mir erzählt, dass sie mit Ihnen die besten Gespräche über den Polizeiberuf und über die Stellung der Frau im Arbeitsleben geführt hat.
    Wir haben Ulrike in aller Stille im Familienkreis

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