Sagen aus Oberösterreich
weibliche Wesen mit ernster Miene. »Dreimal schon habe ich den Wald wachsen und abholzen gesehen. Ich bin verwunschen, hier auf diesem Stein zu sitzen, ihr aber könnt mich erlösen, wenn ihr morgen um die gleiche Zeit wieder zu dem Felsen kommt Dann werdet ihr mich auf diesem Steinblock als feurige Schlange sehen, die einen glühenden Schlüssel im Maul hält; zugleich wird ein furchtbares Gewitter losbrechen, daß ihr glauben werdet, der Weltuntergang sei gekommen. Erschreckt aber nicht darüber, es wird euch nichts geschehen. Tretet nur mutig an die Schlange heran und reißt ihr den Schlüssel aus dem Rachen. Getraut ihr euch aber nicht, das zu tun, so muß ich auf meine Erlösung wieder warten, bis der kleine Schößling, den ihr dort am Boden seht, zu einem mächtigen Baum herangewachsen ist, aus dessen Brettern eine Wiege gezimmert werden kann. In dieser Wiege soll das Kind liegen, das mich erlösen wird.« Nach diesen Worten verschwand die Jungfrau.
Die beiden Burschen eilten nach Hause, fest entschlossen, am nächsten Tag das Wagnis zu unternehmen. Als sie dann wirklich zur Stelle waren, geschah alles, wie die Jungfrau angekündigt hatte. Kühn traten sie an die Schlange heran; schon wollten sie den Schlüssel aus ihrem Maul nehmen, da brach ein so furchtbarer Sturm los, und es blitzte und krachte so entsetzlich, daß die beiden das Weite suchten.
Hinter ihnen aber tönte das leise Weinen der Jungfrau, die nun wieder viele Jahrzehnte auf jenen Jüngling warten muß, der sie vielleicht erlösen wird.
Die Zwergenhöhle bei Obernberg
Ein Bauer aus der Gegend von Obernberg am Inn war in große Not geraten. Er hatte sich das ganze Jahr früh und spät in seinem kleinen Anwesen geplagt, mit großem Fleiß seine Felder bestellt, hatte gepflügt, gejätet und im Sommer im Schweiß seines Angesichts mit seinen Kindern sich um die Hereinbringung seiner Ernte bemüht. Aber der Frost hatte schon im Frühjahr die Blüten der Obstbäume vernichtet, der Hagel schlug die Körner aus den Ähren, und langdauernde Regengüsse richteten schweren Schaden an der Heuernte an. Als er dann nach der Ernte den Ertrag des Jahres überblickte, sah er mit Schrecken, daß er kaum soviel hatte, um bis zur nächsten Ernte mit seiner Familie das Auskommen zu finden. In früheren Jahren hatte er regelmäßig einen Teil seiner Feldfrüchte auf dem Markt verkaufen und mit dem Erlös seine Schulden zahlen können. Diesmal aber verblieb ihm kein Hälmlein und kein Körnlein, das er zu Geld machen konnte. Und schon waren wieder die Steuern fällig, seine Gläubiger erwarteten die Begleichung der rückständigen Zinsen, und in Haus und Hof waren viele Anschaffungen nötig.
Kummervoll machte er sich eines Tages auf den Weg, um in einem entfernt gelegenen Dorf die Verwandten seiner Frau aufzusuchen und um ein kleines Darlehen zu bitten, wovon er die dringendsten Schulden und die Steuern bezahlen wollte. Es war ein schwerer Gang; denn es kam ihm nicht leicht an, anderen Leuten seine Not zu klagen, auch machte er sich nicht allzuviele Hoffnungen über den Erfolg seiner Bitte, da die Verwandten selbst nicht gerate begütert waren.
So schritt er, seine hoffnungslose Lage überdenkend, durch eine düstere Schlucht. Müde und verzagt setzte er sich auf einen Felsblock am Weg und murmelte vor sich hin: »Ach, wenn mir doch irgendein höheres Wesen, eine gütige Fee oder ein freundlicher Kobold, in meiner unverschuldeten Not zu Hilfe käme!« Wehmütig sah er dem munteren Spiel der Eichhörnchen in seiner Nähe zu, hörte in der Ferne den heiteren Gesang der Vögel, da war es ihm, als vernähme er hinter seinem Rücken leises Stimmengewirr. Doch als er sich umdrehte, gewahrte er niemand. Aber bald meinte er wieder Stimmen zu hören, und er zwängte sich in der Richtung des Schalles durch das dichte Gebüsch. Das Geräusch verstärkte sich, und plötzlich sah er am Rande des Dickichts auf einer grünen Waldwiese hunderte von kleinen Gestalten die dort standen und saßen und unter fröhlichen Gebärden und Reden herumsprangen, sich jagten und spielten. Inmitten des Platzes stand ein wunderschöner, weiß und goldig schimmernder Wagen, an den sechs weiße Ziegenböcke gespannt waren. Im Wagen aber saß ein alter, ehrwürdig aussehender Zwerg, in einen purpurnen Mantel gehüllt, eine glitzernde Krone auf dem Haupt. Es war der Zwergenkönig, der mit gnädigem Blick dem fröhlichen Treiben seiner Untertanen zusah.
Der Bauer blieb regungslos in seinem
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