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Sagen des klassischen Altertums

Sagen des klassischen Altertums

Titel: Sagen des klassischen Altertums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustav Schwab
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achtend, und brach in ein Klagegeheul aus, daß es die festesten Krieger erschütterte. Unter vielen Tränen befahl endlich Julus und mit ihm der weise Ilioneus zwei alten Helden, sie aus den Reihen der Männer hinwegzuziehen und unter ihren Armen in die Wohnung zu geleiten.
    STURM DES TURNUS ABGESCHLAGEN
    Schmetternd ertönten die Trompeten der Rutuler. Ein Schrei erhub sich in dem ganzen Lager, und der Widerhall von den Bergen antwortete. Von allen Seiten stürmten die Feinde heran, rückten unter den Schilddächern vor, mühten sich, die Gräben auszufüllen und die Schanzen einzureißen, und schon legten sie an den Stellen, wo die Vorfechter des Lagers dünner auf den Zinnen standen, die Sturmleitern an die Mauern. Die Trojaner dagegen, durch die lange Verteidigung ihrer Vaterstadt im Belagerungskampfe wohlgeübt, verstreuten Geschosse aller Art, wälzten Steine und Felsblöcke auf die Schilddächer und stießen die Emporkletternden mit Spießen darnieder. Schon setzten die angerückten Rutuler das blinde Gefecht nicht mehr fort, sondern lenkten ihre Schritte rückwärts von den Mauern und versuchten es nur mit Lanzenwürfen, die Teukrer vom Walle hinwegzutreiben. Endlich richteten sie alle ihre Streitkräfte auf einen hoch emporragenden Turm, der durch schwebende Brücken mit der Lagermauer verbunden war. Diesen zu erobern, strengten sich die Rutuler in die Wette an: die Trojaner aber verteidigten ihn, indem sie jetzt von der Zinne herab Steine wälzten, jetzt durch hohle Schießscharten Pfeile hinunterschnellten. Endlich schleuderte Turnus eine Brandfackel, die, an die Seite des Turmes sich anhängend, das Getäfel ergriff. Ehe die Verteidiger sich flüchten konnten, stürzte das unterhöhlte Gebälk zusammen, und krachend setzte sich der Turm zu Boden. Die einen fielen mit ihm, von den eigenen Waffen durchbohrt, die andern spießten sich in die Trümmer des Holzes; und viele von denen, die noch unversehrt waren, sahen sich bald von den Scharen des Turnus umringt und wurden niedergehauen. Endlich erwehrten sich die Trojaner der Zudrängenden. Der Knabe Askanius, der bisher nur fliehendes Wild mit seinen Pfeilen zu erlegen gewohnt war, durchbohrte dem Remulus, der kürzlich des Turnus jüngere Schwester gefreit hatte und auf diese Auszeichnung stolz prahlend auf die Teukrer eindrang und sie feige Phrygier schalt, das Haupt mit einem sicheren Pfeilschuß. Die Trojaner jubelten, und die erschreckten Feinde machten einen Schritt rückwärts.
    Julus wollte sie verfolgen. Da stellte sich ihm Apollo selbst, dem alten Waffenträger seines Großvaters, der ihm vom Vater beigegeben war, an Gestalt und Stimme gleich, in den Weg und sprach: »Sohn des Äneas, dir genüge, daß du einen Helden ungestraft erlegt hast; diesen Beginn deines Ruhmes hat Apollo dir vergönnt, für jetzt aber meide den Krieg!« Die Fürsten Iliums erkannten die Gegenwart des Gottes und hielten den Julus vom weitern Kampfe ab. Sie selbst aber erneuerten das Gefecht; und der Schlachtruf tönte um die äußersten Bollwerke der Mauer fort. Als die innerhalb der Tore aufgestellten trojanischen Wächter hörten und sahen, wie ihre Freunde draußen so mutig und kraftvoll kämpften, faßten Pandarus und Bitias, die Söhne Alcanors vom Berg Ida, stark und schlank wie ihre heimischen Tannen, den trotzigen Entschluß, das ihnen vom Feldherrn anvertraute Tor zu öffnen und im Übermute den Feind in die Mauern einzuladen.
    Sie selbst aber standen inwendig mit blinkenden Schwertern rechts und links am Eingang, und von ihren hohen Helmen nickten die Federbüsche. Als die Rutuler die Torflügel offen sahen, stürmten sie, ohne sich zu besinnen, hinein. Aber vier oder fünf ihrer Helden, mit einem ganzen Gefolge von Kriegern, fielen unter den Stößen und Streichen der beiden Jünglinge oder wurden in schmählicher Flucht zum offenen Tore hinausgetrieben.
    Jetzt wagten die Trojaner sich schon in dichtern Scharen zusammenzurotten; ein regelmäßigeres Handgemenge entspann sich; und die Rutuler wurden rückwärtsgedrängt. Als Turnus, der auf einer andern 365
    Gustav Schwab – Sagen des klassischen Altertums
    Seite stritt, die Nachricht von dieser neuen Wendung des Kampfes erhielt, stürzte er, von gräßlichem Zorne gespornt, mit einer auserlesenen Schar von Kriegern herbei und warf sich über eine Bahn von trojanischen Leichen auf das geöffnete Lagertor. Seine mächtige Lanze, aus der Ferne geschleudert, durchbohrte den Bitias, daß der Boden von seinen

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