Sagen des klassischen Altertums
fragte er nach seinem Sohne Lausus, viele Boten sandte er, die ihn herbeirufen, die ihm seines geängsteten Vaters Befehle bringen sollten. Da nahte sich die weinende Schar der Freunde, die den entseelten Jüngling mit seiner klaffenden Brustwunde auf dem Schilde dahertrugen. Mezentius, Unheil vorahnend, verstand ihr Wehklagen schon in der Ferne. Als sie angekommen waren, streute er Staub auf sein graues Haar, streckte die Hände gen Himmel und klammerte sich dann um den Leichnam. »Ist's möglich«, rief er, »geliebter Sohn, konnte mich die Lebenslust so betören, daß ich dich statt meiner in die Hand des Feindes rennen ließ? Muß dein Tod mein Leben sein? Wehe mir, jetzt erst wird mir die Verbannung aus dem Etruskerlande zur unerträglichen Qual! Jetzt erst fühle ich meine Wunde! Ist's möglich, daß ich noch lebe, daß ich das Tageslicht und die Menschen nicht verlasse? Aber ich will sie verlassen!« Mit diesen Worten richtete er sich auf bis zur kranken Hüfte, und so tief die Wunde saß, verlangte er doch sein Roß. Dies war seine Lust, dies war sein Trost: noch aus allen Gefechten hatte es ihn siegreich zurückgetragen. Auch das Streitroß schien über den Jammer seines Herrn zu trauern, es stand mit gesenktem Haupte da, und die Mähne floß regungslos über den Hals. »Wir haben lange gelebt, guter Rhöbus«, redete der wunde Held sein Pferd an, »wenn irgend etwas auf der Erde lang ist; aber heute noch wirst du als Sieger mit mir den Lausus rächen und Haupt und Rüstung des Mörders blutig heimtragen, oder wir fallen miteinander; denn du wirst, hoff ich, keinen Trojaner tragen wollen!« Schnell waffnete sich der Greis, so gut es die Wunde erlaubte, wieder; das Erz des Helmes umleuchtete sein Haupt, der Roßschweif flatterte in den Lüften, seine Hand hielt ein Bündel Speere; so trug ihn Schmerz, Wahnsinn und Mut hoch zu Rosse wieder in die Schlacht.
»Das gebe Jupiter und Apollo«, rief Äneas erfreut, als er den Gegner wieder auf sich zukommen sah, »daß du den Zweikampf mit mir erneurest!« Und nun eilte er ihm mit gehobenem Speer entgegen. Mezentius rief dagegen: »Glaubst du mich noch schrecken zu können, nachdem du mir den Sohn entrissen hast? Ich fürchte den Tod nicht; ich frage nach keinem Gott; sterben will ich, aber dir sende ich zuvor diese Gabe!«
Sprach's und sandte seinen ersten Speer nach seinem Feind, und einen zweiten und einen dritten, indem er ihn dreimal dazu mit seinem Roß umkreiste. Äneas drehte seinen Schild nach den Würfen und fing die Geschosse, eins um das andere, mit der goldnen Schutzwaffe auf. Dann brach er hervor und schleuderte seine eigene Lanze dem Streitrosse des Feindes in die Schläfe. Das Tier bäumte sich, streckte seine Vorderhufe in die Lüfte, schüttelte den Reiter ab und deckte ihn fallend mit dem Rücken. Ein Schrei stieg aus den beiden Heeren gen Himmel. Äneas aber flog herbei, riß das Schwert aus der Scheide und rief höhnend: »Wo ist nun der wilde Mezentius, wohin hat sich der Trotzende verkrochen?« »Grausamer«, seufzte der Gefallene vom Boden empor, »Spottest du mein im Tode noch? Sterb ich doch den edlen Tod in der Schlacht! Nur um eine Gunst bitte ich dich: gönne meinem Leib die Decke des Bodens; du weißt, daß mich wilder Haß alter Untertanen umringt; wehre ihre Wut von mir ab, gönne mir ein Grab mit meinem Kind!« So sprach er und reichte den Hals dem Schwerte des Feindes dar; sein Blut strömte auf die Rüstung, und sein Leben war dahin.
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Gustav Schwab – Sagen des klassischen Altertums
Sechstes Buch
Äneas – Dritter Teil
WAFFENSTILLSTAND
Die Morgenröte stand über dem Schlachtfelde, das die Trojaner als Sieger innehatten. Äneas richtete auf einem Hügel ein Siegeszeichen auf. Der Stamm einer riesigen Eiche, von dem alle Äste abgehauen waren, wurde mit der funkelnden Waffenrüstung des Feldherrn Mezentius bekleidet: rechts wurde der blutige bebuschte Helm, die zerbrochenen Speere des Fürsten, sein Panzer, der zwölfmal von Geschossen getroffen und durchbohrt war, aufgehängt; links der eherne Schild und an seinem Gurte das Schwert in der Scheide von Elfenbein. Der gesamte Haufe der trojanischen Führer drängte sich um das Denkmal, und Äneas weihte die Beute unter feierlichem Flehen dem Schlachtengott.
Alsdann wandten sie ihre Schritte nach dem Lager, wo der greise Arkadier Acötes, der als Waffenträger und Gefährte seinem geliebten Zögling gefolgt war, den entseelten Leib des Pallas hütete, den eine Schar von
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