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Die Hexe und der Herzog

Die Hexe und der Herzog

Titel: Die Hexe und der Herzog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Eins
     

     
    S ie kommen, Lena, sie kommen!- Das steife Wolltuch rutschte ihr vom Kopf, so aufgeregt reckte Lena den Hals. Sie löste es mit klammen Fingern, um es neu zu binden, und spürte dabei Hellas heftigen Atemstoß im Nacken. Deren Ruhe war nur gespielt, das wurde ihr plötzlich klar, die Freundin war ebenso angespannt wie sie selbst.
    »Mach schon!« Hellas Stimme klang vor Anspannung schrill. »Auf den Boden mit dir und zwar flugs! Den Kopf wird er dir schon nicht abreißen, wo doch alle Welt weiß, wie groß seine Schwäche für junges Fleisch ist …«
    Wie im Fiebertraum hörte Lena Schellengeläut, dann glitten die Prunkschlitten auf sie zu, von Apfelschimmeln gezogen, deren Fell bläulich gegen das blendende Weiß des frisch gefallenen Schnees schimmerte. Die beiden hinteren Schlitten waren silbrig gestrichen und mit einem Adler und einem Schwan geschmückt. Am Bug des ersten und prächtigsten der Schlitten aber bäumte sich ein furchterregendes Wesen mit einem schwarzen Schlangenleib auf, dem man dicke goldene Schuppen aufgemalt hatte; der Kopf war der eines riesigen Hahnes. Sein Schnabel war blutrot, die Augen leuchteten in giftigem Grün. Der Basilisk, dessen Blick man meiden musste, wollte man nicht für alle Zeiten sein Augenlicht verlieren.
    Es war nicht nur die beißende Kälte des Februarmorgens, die Lena in die Glieder fuhr, sondern auch eine nie zuvor gekannte Bangigkeit. Els wird mich für alle Zeiten hassen, dachte sie. Und Bibianas Koboldgesicht wieder jenen wehmütigen Ausdruck annehmen wie immer, wenn wir beide in ihrer Gegenwart streiten. Aber ich muss es doch tun! So lange schon kann ich an nichts anderes mehr denken.
    Sie machte einen Schritt nach vorn, zögerte aber plötzlich, als habe sie erneut der Mut verlassen. Die Straße war weiß und bis auf die Schlitten leer; ringsum erhoben sich die Berge in ihrem eisigen Winterkleid. Hella und sie schienen die Einzigen, die sich zu dieser frühen Stunde aus den Bürgerhäusern gewagt hatten. Inzwischen waren die Schlitten so nah, dass sie Einzelheiten erkennen konnte: im ersten das rote Barett des Herzogs mit dem hellen Federschmuck, das seinen Kopf noch kantiger wirken ließ, neben ihm eine winzige Person, die eine bunte Narrenkappe trug und unter der üppigen Fuchsdecke beinahe verschwand.
    »Spring!«, zischte Hella und versetzte der Freundin, als Lena sich noch immer nicht rühren wollte, einen kräftigen Stoß in den Rücken.
    Lena kippte nach vorn. Dabei rutschte sie auf dem glatten Grund aus und verfing sich beim Versuch, mit den Armen rudernd das Gleichgewicht zurückzugewinnen, mit dem Absatz im Kleidersaum. Hella wollte ihr zu Hilfe kommen, doch es war zu spät.
    Im Fallen bemerkte Lena die längliche Brandwunde auf Hellas Handrücken, der doch gestern noch gänzlich unversehrt gewesen war. Dann schoss bereits der Schnabel des Ungetüms auf sie zu. Sie spürte einen harten Schlag und kniff in wilder Angst die Lider zu. Der Schrei blieb ihr in der Kehle stecken.
    Bewusstlos sank Lena in den Schnee.

     
    Als sie wieder zu sich kam, fand sie ein winziges Faltengesicht über sich gebeugt. Einer von Bibianas Elfenmännern oder Baumgeistern, von denen zu erzählen sie niemals müde wurde?
    Lena fühlte sich zu schwach, um klar denken zu können. Nah an ihrem Ohr bimmelte es zart, dann lauter. Waren die Rösser des Herzogs zurückgekommen?
    »Sie lebt! Sie war lediglich ohnmächtig. Ich hab es Euch ja gleich gesagt, solch dreckiges Bauernpack ist nun mal robuster als unsereins. Und das bisschen Blut über der Braue heißt anscheinend gar nichts.«
    »Wo … bin ich?« Lenas Schädel dröhnte, die Zunge lag dick und pelzig im Mund. Nach jedem einzelnen Wort musste sie kramen, als hätten sich alle mutwillig in einer Lade versteckt, die sich nur mit Mühe aufziehen ließ. »Was ist... geschehen?«
    »Wie eine Schlafwandlerin hat du dich unter die Rösser des Herzogs fallen lassen, das ist geschehen.« Das kleine Faltengesicht war jetzt so nah, dass ihr der säuerliche Atem in die Nase stieg. Und noch etwas roch Lena: alten Schweiß, über dem ein schwerer, fremdartiger Duft schwebte. Angewidert wandte sie den Kopf zur Seite, was den Schmerz freilich nur noch heftiger pochen ließ. »Oder warst du bereits in aller Herrgottsfrüh stockbetrunken? Wie auch immer, eines der Pferde hat dich offenbar mit dem Huf am Kopf gestreift. Aber du hast bei allem noch einmal verdammtes Glück gehabt, weißt du das eigentlich? Denn es hätte auch ganz

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