Sagen des klassischen Altertums
Pfosten der Tür, so leuchteten die Pfosten wie Feuer; ja selbst das Wasser, in das er seine Hände tauchte, verwandelte sich in Gold. Außer sich vor Freude, befahl er den Dienern, ihm ein lekkeres Mahl zu richten. Bald stand der Tisch bereit, mit köstlichem Braten und weißem Brote belastet. Jetzt griff er nach dem Brote, – die heilige Gabe der Demeter ward zu steinhartem Metall; er steckte das Fleisch in den Mund, schimmerndes Blech klirrte ihm zwischen den Zähnen; er nahm den Pokal, den duftenden Wein zu schlürfen, – flüssiges Gold schien die Kehle hinabzugleiten. Nun ward es ihm doch klar, welch ein schreckliches Gut er sich erbeten hatte; so reich und doch so arm, verwünschte er seine Torheit; denn nicht einmal Hunger und Durst konnte er stillen, ein entsetzlicher Tod war ihm gewiß. Verzweifelnd schlug er die Stirn mit der Faust, – o Schrecken, auch sein Antlitz strahlte und funkelte wie Gold. Da erhob er angstvoll die Hände zum Himmel empor und flehte: »O Gnade, Gnade, Vater Dionysos! Verzeih mir
schwachsinnigem Sünder und nimm das gleißende Übel von mir!« Bakchos, der freundliche Gott, erhörte die Bitte des reuigen Toren, er löste den Zauber und sprach: »Gehe hin zum Fluß Paktolos, bis du seine Quelle im Gebirge findest. Dort, wo das schäumende Wasser dem Felsen entsprudelt, dort tauche das Haupt in die kühle Flut, daß dich der glänzende Firnis verlasse. So spüle zugleich mit dem Golde die Schuld ab.«
Midas gehorchte dem göttlichen Befehl, und siehe, zur selbigen Stunde wich der Zauber von ihm; aber die goldschaffende Kraft ging auf den Strom über, welcher seitdem das kostbare Metall in reichem Maße mit sich führt.
Seit dieser Zeit haßte Midas allen Reichtum, verließ seinen prächtigen Palast und erging sich gern in Fluren und Wäldern, den ländlichen Gott Pan verehrend, dessen Lieblingsaufenthalt schattige Felsengrotten sind. Aber das Herz des Königs blieb töricht wie vorher und verschaffte ihm bald eine neue Gabe, die er nicht wieder loswerden sollte.
Auf den Bergen des Tmolos pflegte Pan, der bocksfüßige Gott, den Nymphen seine tändelnden Lieder auf der Rohrpfeife vorzublasen. Einst nun wagte er es, sich mit Apollon selbst im Wettkampfe zu messen.
Der greise Berggott Tmolos, das bläuliche Haar und die Schläfe mit Eichenlaub umkränzt, saß auf einem Felsen, um als Richter den Streit zu entscheiden, und ringsumher saßen liebliche Nymphen und sterbliche Männer und Weiber, um zu lauschen, unter ihnen auch König Midas. Nun begann Pan sein Spiel auf der Syrinx, neckisch barbarische Töne dem Rohre entlockend. Mit Entzücken horchte Midas ihm zu. Als Pan geendigt, trat Apollon vor, das goldlockige Haupt von Lorbeer umwunden, im langen, purpurnen Gewand, in der Linken die elfenbeinerne Leier, Antlitz und Haltung voll göttlicher Hoheit; so rührte er die Saiten, daß himmlische Töne ihnen entrauschten und alle Hörer mit Wonne und Ehrfurcht erfüllten. Und Tmolos, ein kundiger Richter, erkannte ihm den Preis zu. Während nun alle andern seinem Spruche einmütig Beifall zollten, konnte Midas den schwatzhaften Mund nicht halten und tadelte laut die Entscheidung; dem Pan gebühre der Preis. Da trat Apollon unsichtbar zu dem törichten Könige und faßte ihn an beiden Ohren. Mit einem leichten Ruck zog er sie in die Höhe, und siehe, sie spitzten sich zu und umhüllten sich mit grauen Zotten, leicht beweglich schuf der Gott das untere Gelenk, denn er duldete nicht, daß so dumme Ohren noch 393
Gustav Schwab – Sagen des klassischen Altertums
menschliche Gestalt behielten. Zwei lange Eselsohren schmückten das Haupt des armen Königs, der sich der schimpflichen Anhängsel bitterlich schämte. Durch einen gewaltigen Turban suchte er seine Schande zu bedecken und vor aller Welt zu verheimlichen. Aber dem einen Diener, der ihm das Haar zu scheren pflegte, konnten sie nicht verborgen bleiben. Kaum erblickte jener die neue Zierde seines Herrn, als er auch schon vor Begierde brannte, das Geheimnis auszuschwatzen. Nur wagte er nicht, es einem Menschen zu verraten; um aber dennoch sein Herz zu erleichtern, ging er an das Ufer des Flusses, grub ein Loch in die Erde und flüsterte sein seltsames Geheimnis hinein. Darauf schüttete er die Grube sorgfältig wieder zu und ging erleichtert von dannen. Aber es währte nicht lange, da entsproß jener Stelle ein dichter Wald von Schilfrohr, und die Halme rauschten so wunderlich, wenn ein Lüftchen über sie hinstrich, und
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