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Sagen des klassischen Altertums

Sagen des klassischen Altertums

Titel: Sagen des klassischen Altertums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustav Schwab
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flüsterten so leise und doch so vernehmlich einander zu: »König Midas hat Eselsohren!« So ward das Geheimnis verraten.
    HYAKINTHOS
    Der jüngste unter den Söhnen des lakonischen Königs Amyklas war Hyakinthos. Phöbos Apollon sah den lieblichen Knaben und gewann eine herzliche Zuneigung zu ihm. Ja, er gedachte ihn einstens in den Olymp zu erheben, auf daß er ihn ewig in seiner Nähe hätte. Aber ein trauriges Geschick gönnte dem Sterblichen die Verherrlichung nicht und raffte ihn in zarter Jugendblüte dahin. Oft verließ Apollon das heilige Delphi, um an dem Gestade des Eurotas in der Nähe der mauerlosen Stadt Sparta sich der Gesellschaft seines Lieblings zu erfreuen. Leier und Bogen vergaß er über heitern Spielen und verschmähte es nicht, mit Hyakinthos auf der Jagd durch die rauhen Höhen des Taygetos zu schweifen. Einst um die Mittagsstunde, als die Sonne ihre heißen Strahlen senkrecht herniedersandte, warfen die beiden ihre Gewänder von sich, salbten ihre Körper mit Öl und begannen die Diskosscheibe zu werfen. Da nahm Apollon zuerst die schwere Scheibe, schwang sie wägend im Arm und schleuderte sie dann so gewaltig in die Höhe, daß sie am Himmel eine Wolke zerteilte. Lange währte es, bis das runde Erz wieder auf die Erde herabfiel. Eifrig, es seinem göttlichen Lehrmeister nachzutun, sprang der Knabe hinzu und wollte die Scheibe fassen. Aber vom felsigen Grunde prallte sie jach in die Höhe und ach – dem holden Kinde ins Antlitz. Bleich wie der Getroffene eilte Apollon herbei und fing den Zusammenbrechenden in seinen Armen auf. Bald suchte er die erstarrenden Glieder zu erwärmen, bald wischte er das Blut von der schrecklichen Wunde, bald legte er heilsame Kräuter auf, um die fliehende Seele seines Lieblings zu halten. Doch alles war vergebens! Wie eine zarte Blume, im Garten gebrochen, plötzlich ihr welkendes Haupt herniedersinken läßt, so sank das Haupt des armen Knaben, welk und matt, zurück an die Brust des Gottes. Dieser rief ihn mit den zärtlichsten Namen und bedeckte sein Antlitz mit bittern Tränen. Ach, warum ist er denn ein Gott, daß er nicht für ihn oder doch mit ihm sterben kann! Endlich rief er: »Nein, süßes Kind, nicht völlig sollst du sterben, mein Lied soll von dir singen, und als Blume noch sollst du meinen Schmerz verkünden.« So rief Apollon, und siehe, aus dem strömenden Blut, das die Gräser rot färbt, sprießt eine Blume hervor von düsterm Glanz wie tyrischer Purpur, lilienförmig wachsen an einem Stengel zahlreiche Blumen, und jede zeigt auf ihren Blättchen in deutlicher Schrift die Seufzer des Gottes: Aï, das ist: Wehe! Wehe! – So ersteht nun mit jedem Lenz die Blume, die des Götterlieblings Namen fährt, und stirbt wie jener bald wieder dahin, ein Bild der Vergänglichkeit alles Schönen auf der Erde. In Lakonien aber ward alljährlich, wenn der Sommer kam, dem Hyakinthos und seinem göttlichen Freunde zu Ehren ein großes Fest, die Hyakinthien, gefeiert, wobei man des Knaben wehmütig, als eines Frühverstorbenen, und heiter, als eines Vergötterten, gedachte.
    ATALANTE
    Die heldenmütige Jungfrau, die an der Jagd des Kalydonischen Ebers so rühmlichen Anteil nahm, ward von ihrem Vater, welcher sich männliche Nachkommenschaft gewünscht hatte, gleich nach ihrer Geburt ausgesetzt. In den Bergen fand eine Bärin, der man die Jungen getötet, das schreiende Kindlein, nahm es sorglich in den Rachen und trug es in ihre Höhle, wo sie es mit ihrer Milch säugte. Als einst Jäger die Gegend durchstreiften, fanden sie das Kind, nahmen es mit sich und zogen es zu einer blühenden Jungfrau auf. In den kühlen Bergwäldern Arkadiens erwachsen, war Atalante kräftig und stark und so schnellfüßig wie das schnellste Reh; Luft und Sonne hatten Antlitz und Glieder ihr gebräunt, aber ihre Schönheit strahlte gleich der einer Waldnymphe oder der jungfräulichen Göttin Artemis. So lebte sie rein und stolz in der Einsamkeit des Gebirges, die Hand eines Gatten verschmähend; zu Fuß mit dem Speere den edlen Hirsch zu erjagen war ihre höchste Lust. Einst sahen zwei Zentauren, Rhökos und Hyläos, die schöne Jägerin dahineilen und verabredeten sich, sie zu entführen. Als sie ihr aber zu nahen wagten, schoß sie beide mit ihren Pfeilen nieder. Außer an der Erlegung des Kalydonischen Ebers beteiligte sie sich noch an gar manchen kühnen Heldenunternehmungen, bei denen sie nicht selten die Männer durch ihre beispiellose Tapferkeit 394
    Gustav Schwab – Sagen

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