Sagen des klassischen Altertums
fiele ihr das Herz aus der Brust. Nacht war vor ihren Augen, und mit heißem Rot bedeckte sich ihre Wange. Inzwischen hatten sie die Dienerinnen alle verlassen. Lange standen der Held und die Königstochter einander stillschweigend gegenüber, schlanken Eichen oder Tannen ähnlich, die auf den Bergen tiefgewurzelt in Windstille regungslos beieinanderstehen; plötzlich aber kommt ein Sturm, und alle Blätter zittern in rauschender Bewegung; so sollten, vom Hauch der Liebe angeweht, sie bald vielbewegte Worte tauschen. »Warum schauest du mich«, so brach Iason zuerst das Schweigen, »nun, da ich allein bei dir bin? Ich bin nicht wie andere prahlerische Männer und war auch zu Hause nie so. Fürchte dich nicht, zu fragen und zu sagen, was dir beliebt; aber vergiß nicht, daß wir an einem heiligen Orte sind, wo Betrügen ein Frevel wäre: darum täusche mich nicht mit süßen Worten; ich komme als ein Schutzflehender und bitte dich um die Heilmittel, die du deiner Schwester für mich versprochen. Die harte Notwendigkeit zwingt mich, deine Hilfe zu suchen; verlange, welchen Dank du willst, und wisse, daß du den Müttern und Frauen unserer Helden, die uns vielleicht schon, am Ufer sitzend, beweinen, durch deinen Beistand die schwarzen Sorgen zerstreuen und in ganz Griechenland Unsterblichkeit erlangen wirst.«
Die Jungfrau hatte ihn ausreden lassen; sie senkte ihre Augen mit einem süßen Lächeln; ihr Herz erfreute sich seines Lobes, ihr Blick erhub sich wieder, die Worte drängten sich auf ihre Lippen, und gern hätte sie alles zumal gesagt. So aber blieb sie ganz sprachlos und wickelte nur die duftende Binde von dem Kästchen ab, das Iason ihr eilig und froh aus den Händen nahm. Sie aber hätte ihm auch freudig die Seele aus der Brust 41
Gustav Schwab – Sagen des klassischen Altertums
gegeben, wenn er sie verlangt hätte, so süße Flammen wehte ihr der Liebesgott von Iasons blondem Haupte zu; ihre Seele war durchwärmt, wie der Tau auf den Rosen von den Strahlen der Morgensonne durchglüht wird. Beide blickten verschämt zu Boden, dann richteten sie ihre Augen wieder aufeinander und schickten sehnende Blicke unter den Wimpern hervor. Erst spät und mit Mühe hub die Jungfrau an: »Höre nun, wie ich dir Hilfe schaffen will. Wenn dir mein Vater die verderblichen Drachenzähne zum Säen überliefert haben wird, dann bade dich einsam im Wasser des Flusses, bekleide dich mit schwarzen Gewändern und grabe eine kreisförmige Grube. In dieser errichte einen Scheiterhaufen, schlachte ein weibliches Lamm und verbrenne es ganz darauf; dann träufle der Hekate ein Trankopfer süßen Honigs aus der Schale und entferne dich wieder vom Scheiterhaufen. Auf keinen Fußtritt, auf kein Hundegebell kehre dich um, sonst wird das Opfer vereitelt. Am andern Morgen salbe dich mit diesem Zaubermittel, das ich hier dir gereicht habe; in ihm wohnt unermeßliche Stärke und hohe Kraft; du wirst dich nicht den Männern, sondern den unsterblichen Göttern gewachsen fühlen. Auch deine Lanze, dein Schwert und deinen Schild mußt du salben, dann wird kein Eisen in Menschenhand, keine Flamme der Wunderstiere dir schaden oder widerstehen können. Doch wirst du so nicht lange sein, sondern nur an jenem einen Tage; dennoch entziehe dich auf keine Weise dem Streit. Ich will dir auch noch ein anderes Hilfsmittel an die Hand geben. Wenn du nämlich die gewaltigen Stiere eingespannt und das Blachfeld durchpflügt hast und schon die von dir ausgesäete Drachensaat aufgegangen ist, so wirf unter sie einen mächtigen Stein: um diesen werden jene rasenden Gesellen kämpfen wie Hunde um ein Stück Brot; indessen kannst du auf sie einstürzen und sie niedermachen. Dann magst du das Goldene Vlies unangefochten aus Kolchis mit dir nehmen: dann magst du gehen; ja gehe nur, wohin dir zu gehen beliebt!« So sprach sie, und heimliche Tränen rollten ihr über die Wange hinab; denn sie dachte daran, daß der edle Held weit fort über die Meere ziehen werde. Traurig redete sie ihn an, indem sie ihn bei der Rechten faßte, denn der Schmerz ließ sie vergessen, was sie tat:
»Wenn du nach Hause kommst, so vergiß nicht den Namen Medeas; auch ich will deiner, des Fernen, gedenken. Sage mir auch, wo dein Vaterland ist, nach welchem du auf diesem schönen Schiffe zurückkehren wirst.« Mit diesen Reden der Jungfrau bemächtigte sich auch des Helden eine unwiderstehliche Neigung, und er brach in die Worte aus: »Glaube mir, hohe Fürstin, daß ich, wenn ich dem Tode
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