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Sagen des klassischen Altertums

Sagen des klassischen Altertums

Titel: Sagen des klassischen Altertums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustav Schwab
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entrinne, keine Stunde bei Tag und bei Nacht dein vergessen werde. Meine Heimat ist Iolkos in Hämonien, da, wo der gute Deukalion, der Sohn des Prometheus, viele Städte gegründet und Tempel gebaut hat. Dort kennt man euer Land auch nicht mit Namen.« »So wohnest du in Griechenland, Fremdling«, erwiderte die Jungfrau; »dort sind die Menschen wohl gastlicher als hier bei uns; darum erzähle nicht, welche Aufnahme dir hier geworden, sondern gedenke nur in der Stille mein. Ich werde dein gedenken, wenn alles dich hier vergäße.
    Wärest du aber imstande, mein zu vergessen, o daß dann der Wind einen Vogel aus Iolkos herbeiführte, durch welchen ich dich daran erinnern könnte, daß du durch meine Hilfe von hier entronnen bist! Ja, wäre ich dann vielmehr selbst in deinem Hause und könnte dich mahnen!« So sprach sie und weinte. »O du Gute«, antwortete Iason, »laß die Winde flattern und den Vogel dazu; denn du sprichst Überflüssiges! Aber wenn du selbst nach Griechenland und in meine Heimat kämest, o wie würdest du von Frauen und Männern verehrt, ja wie eine Gottheit angebetet werden, weil ihre Söhne, ihre Brüder, ihre Gatten durch deinen Rat dem Tode entronnen und fröhlich der Heimat zurückgegeben sind; und mir, mir würdest du dann ganz gehören, und nichts sollte unsere Liebe trennen als der Tod.« So sprach er, ihr aber zerfloß die Seele, als sie solches hörte. Zugleich stand vor ihrem Geist alles Schreckliche, womit die Trennung vom Vaterlande drohte; und dennoch zog es sie mit wunderbarer Gewalt nach Griechenland, denn Hera hatte es ihr ins Herz gegeben. Diese wollte, daß die Kolcherin Medea ihr Vaterland verlassen und zu des Pelias Verderben nach Iolkos kommen sollte.
    Inzwischen harrten in der Ferne die Dienerinnen still und traurig; denn die Zeit war längst da, wo die Fürstin nach Hause zurückkehren sollte. Sie selbst hätte die Heimkehr ganz vergessen, denn ihre Seele erfreute sich der trauten Rede, wenn nicht der vorsichtigere Iason, wiewohl auch dieser spät, so gesprochen hätte: »Es ist Zeit zu scheiden, daß nicht das Sonnenlicht früher scheide als wir und die andern alles innewerden. Laß uns an diesem Orte wieder zusammenkommen.«
    IASON ERFÜLLT DES AIETES BEGEHR
    So schieden sie. Iason kehrte fröhlich zu seinen Genossen und dem Schiffe zurück. Die Jungfrau begab sich zu ihren Dienerinnen. Diese eilten ihr alle entgegen; sie aber sah es nicht; denn ihre Seele schwebte hoch in den Wolken. Mit leichten Füßen bestieg sie den Wagen, trieb die Maultiere an, die von selbst nach Hause rannten, und kam zum Palaste zurück. Hier hatte Chalkiope voll banger Sorge um ihre Söhne längst auf sie gewartet. Sie saß auf einem Schemel, das gebeugte Haupt mit der linken Hand gestützt; ihre Augen waren feucht unter den Augenlidern; denn sie dachte daran, in welches Übels Genossenschaft sie verstrickt 42
    Gustav Schwab – Sagen des klassischen Altertums
    wäre.
    Iason erzählte unterdessen seinen Genossen, wie ihm die Jungfrau das herrliche Zaubermittel gereicht habe; zugleich hielt er ihnen die Salbe entgegen. Alle freuten sich; nur Idas, der Held, saß seitwärts und knirschte mit den Zähnen vor Zorn. Am andern Morgen sandten sie zwei Männer ab, den Drachensamen von Aietes zu erbitten, der sich nicht lange weigerte. Er gab ihnen von desselben Drachen Zähnen, den Kadmos bei Theben umgebracht hatte. Er tat es ganz getrost; denn er hielt es gar nicht für möglich, daß Iason die Kampfprobe bestehen könnte, wenn es ihm gleich gelingen würde, die Stiere unter das Joch zu spannen.
    In der Nacht, die auf diesen Tag folgte, badete sich Iason und opferte der Hekate, ganz wie Medea ihn geheißen. Die Göttin selbst vernahm sein Gebet und kam aus ihren tiefen Höhlen hervor, die entsetzliche, umwunden von gräßlichen Nattern und flammenden Eichenzweigen. Hunde der Unterwelt schwärmten bellend um sie her. Der Anger zitterte unter ihrem Tritt, und die Nymphen des Flusses Phasis heulten. Selbst den Iason ergriff Entsetzen, als er heimkehrte, aber dem Gebote der Geliebten getreu, schaute er sich nicht um, bis er wieder bei seinen Genossen war: und schon schimmerte die Morgenröte über dem Schneegipfel des Kaukasus.
    Jetzt warf Aietes seinen starken Panzer über, den Ares auf dem Felde von Phlegra dem Giganten Mimas geraubt; auf sein Haupt setzte er den goldnen Helm mit vier Büschen und griff zu dem vierhäutigen Schilde, den außer Herakles kein anderer Held hätte aufheben können. Sein

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