Sagen des klassischen Altertums
Apfel geben, zur Auswahl standen Hera, Aphrodite und Athene. Er entschied sich nicht für Athene, sondern für die Göttin der Liebe, weil ihm diese die schönste Frau der Welt versprochen hatte. Das hat Athene so gekränkt, daß sie auf der Stelle die Stadt Troja dem Erdboden gleichmachen wollte und sich nur sehr schwer und auch nur durch ein Machtwort des Zeus davon abhalten ließ. Aber selbstverständlich kämpfte sie im Trojanischen Krieg auf der Seite der Griechen.
Die wunderschöne Medusa behauptete irgendwann einmal, sie sei mindestens so schön wie Athene, vielleicht sogar noch schöner; worauf Athene sie in ein häßliches Monster verwandelte. Also, rachsüchtig war sie auch.
Sie ließ sich gerne schmeicheln, aber sie ließ sich nur auf intelligente Art und Weise schmeicheln. Dumpfe Anmache fiel bei ihr durch. Ihre Feindschaft zu Ares sorgte oft für Trubel im Götterhimmel. Ares war zwar ein kriegslüsterner Raufbold, aber den totalen Krieg, den Vernichtungskrieg, den hat Pallas Athene erfunden. Sie war die Strategin im Kampf, und wenn sie einen Feind vor sich hatte, oder wenn sie einem Helden half, der einen Feind vor sich hatte, so war ihre Lösung stets eine endgültige Lösung – die Vernichtung. Bei geringstmöglichem Aufwand sollte der größtmögliche Effekt erzielt werden. Nur die absolute Vernichtung des Feindes konnte garantieren, daß einen dieser Feind in Zukunft unbehelligt lassen würde.
Wenn man die Götter Ares und Athene in unsere Zeit versetzte, hätte ich ohne Frage größere Angst vor Pallas Athene. Pallas Athene ist die Göttin der Atombombe. Ares ist grausam und blutsüchtig, aber der atomare Overkill wäre ihm nie eingefallen.
Aber nun zu Hermes. Er ist der Götterbote, die Lateiner nannten ihn Mercurius. Er war auch der Gott der Diebe, der Gott der Kaufleute, der Gott der Zwischenträger. Ich möchte zunächst von seiner Geburt erzählen:
Jedesmal, wenn Hera schlief, schlich sich Zeus zu jener Zeit vom Olymp herunter und kroch in die Höhle und ins Bett der Maia, der wunderhübschen Tochter des Atlas. Die beiden waren ein trautes Liebespaar. Zeus liebte die Nymphe wirklich. Zeus schlief ja auch mit anderen, mit Nymphen und Göttinnen, ohne daß er sie gleich liebte, nur weil er sie begehrte, eben weil er unter diesem Zeugungszwang stand. Aber die Atlastochter Maia, die liebte er wirklich. Sie umarmten sich in ihrer Höhle, und aus dieser Liebesbeziehung wurde Hermes.
Hermes war ein ganz außergewöhnliches Baby, das kann man wohl sagen. Ich will von seinem ersten Tag erzählen: Hermes wurde am Morgen geboren, und am Mittag bereits war er so pfiffig, daß er sich aus den Windeln strampelte, sich aus seiner Wiege wälzte und zur Höhle hinauskroch. Dort erhob er sich auf seine Beinchen, schaute in den strahlenden Tag und überlegte sich, was er an seinem ersten Tag auf dieser Erde, an seinem ersten Tag im Sein anstellen könnte. Und wie er sich die Sonnenstrahlen auf seine Nase scheinen ließ, da kam eine breite Meeresschildkröte angekrochen. Die gefiel ihm, und sie gefiel ihm doch wieder nicht, sie schaute in dieser merkwürdigen Art, wie Echsen eben schauen. Das ärgerte ihn, und er stürzte sich auf sie und würgte sie zu Tode. Er bewunderte den großen Rückenpanzer, und mit der Kraft eines Gottes riß er diesen Rückenpanzer von der toten Schildkröte, reinigte ihn und setzte sich hinein und sang ein Lied und merkte, daß es anders klang, als wenn er nicht in einem solchen Panzer saß – daß es nämlich interessanter klang.
Da kam ihm die Idee, diesen Hohlkörper zu bespannen. Er sah vor sich ein paar Kühe, auch die kamen ihm interessant vor, er hatte noch nie Kühe gesehen. Auch das Würgen war ihm interessant vorgekommen, und so würgte er nun auch eine Kuh zu Tode. Dann riß er ihr die Gedärme aus dem Leib, säuberte sie, drehte und dehnte sie – inzwischen wird es wohl Mittag geworden sein – und machte aus diesen Gedärmen Saiten. Die Saiten spannte er über den Panzer der Schildkröte, und damit hatte er die Lyra erfunden, oder die Kithara, wie das Instrument auch genannt wurde. Wir heute sagen: die Gitarre. Es ist eine sehr schöne Vorstellung, wenn ich mir denke, daß die Stratocaster eines Jimi Hendrix von diesem Instrument abstammt. Vielleicht rührt daher meine Sympathie für den Gott Hermes.
Aber das war noch nicht genug. Der erste Tag des neuen Gottes hatte erst begonnen. Die Lyra, die buckelte er sich auf, und so schritt er weiter hinaus in die
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