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 Sagen des klassischen Altertums

Sagen des klassischen Altertums

Titel: Sagen des klassischen Altertums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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ist, wenn er gezwungen wird zu tun, was ihm das Liebste ist. Das ist hinten herum gedacht, unverschämt schlau kalkuliert. Hera saß am liebsten bei Tisch und aß, also hat sie Hephaistos dort hingenagelt, Aphrodite wälzte sich am liebsten mit Ares im Bett, also hat er sie dort gefangengehalten.
    Es gibt noch eine sehr schöne Geschichte über Hephaistos, die seine Widersprüchlichkeit deutlich macht, auch seine Widersprüchlichkeit gegenüber dem Göttervater Zeus. Es gab zwischen Zeus und Hera ja, wie ich schon erzählte, des öfteren Streit. Sie kibbelten und kabbelten bei jeder Gelegenheit. Der Held Herakles zum Beispiel, der Lieblingsheld des Zeus, er wurde von Hera gehaßt. Sie versuchte ihn zu vernichten. Bei jeder Gelegenheit warf sie ihm Knüppel zwischen die Füße. Wegen Herakles kam es dann auch zum ganz großen Streit zwischen Zeus und Hera.
    Dieser Streit war so heftig, daß Zeus sagte: »So, jetzt ist Schluß! Ich will nicht mehr!« Er packte seine Frau Hera und hängte sie an den Armen auf. Damit sie auch ja ordentlich Schmerzen hätte, befestigte er an ihren Füßen zwei Ambosse. So dehnte er sie in die Länge. Es muß eine entsetzliche Folter gewesen sein.
    Es war ausgerechnet Hephaistos, der von Hera verachtete, gehaßte Sohn, der seine Mutter befreite. Unberechenbar, wie er war, hatte er sich nicht auf die Seite des Göttervaters gestellt, sondern auf die Seite der Mutter. Dafür wurde er von Zeus ein zweites Mal vom Himmel geschleudert. Wieder flog er zwölf Stunden.
    Aber auch das trug er Zeus nicht nach, und als Zeus schließlich von ihm forderte, er solle die Ketten schmieden, mit denen der arme, große Titan Prometheus, der uns Menschen erst gemacht hatte, an den Kaukasus gefesselt werden sollte, da war er diensteifrig wie eine Biene, der Hephaistos. Schmiedete brav diese Ketten und übergab sie Zeus, damit dieser den Prome theus aufs scheußlichste bestrafen konnte.
     
    Eine Gottheit, die einerseits in vieler Hinsicht Verwandtschaft mit Hephaistos aufweist, die aber auf der anderen Seite das nur denkbare Gegenteil des Götterschmiedes darstellt, ist Pallas Athene. Diese Gottheit hätte alles gehabt, um in einer weiteren Entwicklung der Mythologie dem höchsten Gott Zeus den Rang abzulaufen. Vielleicht hat sie es ja längst getan, vielleicht herrscht sie längst über uns, ohne daß wir es merken. Vielleicht ist gerade das Rezept ihres Erfolges: nur aus Prinzipien heraus zu handeln, sich hinter den Begriffen zu verschanzen, sich ganz in pure, bare Vernunft zu kleiden.
    In vielen Gegenden Griechenlands wurde Athene mehr verehrt als Zeus. Sie ist der schillernde Geist des Olymps. Auch ihre Geburt ging in gewisser Hinsicht autogam vor sich.
    Zeus wollte seiner Frau beweisen, daß er das auch konnte: ohne einen Gegenpart, allein aus sich selbst heraus Leben zu erschaffen. Ganz gelang ihm das freilich nicht, das sei gleich gesagt. Er war zu jener Zeit verliebt in die Titanin Metis. Metis wollte sich nicht von Zeus beschlafen lassen, sie versteckte sich vor ihm, sie lief vor ihm davon, sie verwandelte sich in alle möglichen Pflanzen und auch in alle möglichen Tiere, verkrümmte sich in die unmöglichsten Formen.
    Aber Zeus stellte ihr weiter nach, und da beging die süße Metis einen Fehler: Sie verwandelte sich in eine Fliege. Sie dachte wohl, in dieser Gestalt sei sie am schwersten zu finden. Aber Zeus fing die Fliege mit einem Husch und verschluckte sie. Als sie nun in Zeus’ Leib war, kroch sie durch seine Adern, durch seine Hohlräume nach oben. Auf wunderbare Art wurde sie im Körper des Gottes befruchtet – wie das vor sich ging, wollen wir gar nicht erst versuchen zu beschreiben.
    Zeus wollte Metis zwar beschlafen, aber er wollte keinen Sohn von ihr haben. Es war ihm nämlich geweissagt worden, daß, wenn er von Metis einen Sohn bekäme, dieser mächtiger sei als er. Das wollte er verhindern, aber nun war Metis schwanger, und sie kroch in seinen Kopf hinauf. Zeus hatte Schmerzen, und er hatte Angst. Die Leibesfrucht drückte von innen gegen seinen Schädel, blähte ihn auf, und der Götterschmied Hephaistos mußte gerufen werden.
    Hephaistos löste das Problem auf ganz handwerkliche Art und Weise. Er nahm ein Beil und spaltete dem Zeus den Schädel. Aus der gespaltenen Stirn stieg Pallas Athene, in kompletter Rüstung, schon voll ausgewachsen.
    Athene war also eine Kopfgeburt des Zeus. Hephaistos war ihre Hebamme gewesen, und er liebte sie über alles. Zu ihr war er weder unverschämt

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