Sagen des klassischen Altertums
verstoßen hatte.
Hephaistos baute ihr einen wunderschönen, mit Brillanten besetzten Goldthron und schickte ihr diesen Thron auf den Olymp – aus Verehrung für seine Mutter Hera, ließ er dazu ausrichten. Man kann sich vorstellen, daß Hera ziemlich verlegen war über dieses Geschenk.
Aber sie rückte sich den Thron zurecht und setzte sich zu Tisch, es war der schönste Thron von allen, noch schöner als der des Zeus. Die Götter aßen, und anschließend standen alle auf. Hera wollte ebenfalls aufstehen, aber das ging nicht. Sie konnte sich nicht von ihrem Thron erheben. Das war die Rache ihres Sohnes Hephaistos: Er hatte einen raffinierten Mechanismus in den Stuhl eingebaut. Die Götter standen um sie herum, sie waren ebenso ratlos. Keine Kraftanstrengung nützte etwas. Hera saß wie angeschraubt.
Man schickte nach Hephaistos. Hermes eilte auf seinen Flügelschuhen hinunter zur Grotte der Thetis, bat Hephaistos, er möge die Göttermutter erlösen, es sei doch lächerlich, wenn die höchste Göttin gefesselt an ihren Stuhl bei Tisch sitzen müsse.
Aber Hephaistos blieb hart. Er blieb stur, er ließ nicht mit sich verhandeln, und wenn vielleicht doch, dann wollte er direkt mit Hera sprechen.
Man holte ihn also in den Olymp hinauf, er schaute seine Mutter an, wie sie da gefesselt auf dem Thron saß. Der Anblick befriedigte seine Rachgier.
Was denn nun sei, wurde er gefragt. Was er gedenke zu unternehmen, um die Göttermutter aus ihrer Lage zu befreien. Er gab keine Antwort. Erst der Gott Dionysos konnte ihm das Geheimnis dieses raffinierten Mechanismus entlocken, und das auch erst, nachdem er ihm reichlich Wein zu trinken gegeben hatte.
Von nun an durfte Hephaistos auf dem Olymp bleiben. Er war der Diener der Götter. Er war der Mundschenk, der Kellner, und sie lachten über ihn. Sie lachten über seinen Humpelfuß, über sein rußiges Gesicht, über seine Ungeschicklichkeit, freuten sich allerdings auch über seine Geschicklichkeit als Handwerker. Sie ließen sich von ihm die prächtigsten Paläste auf dem Olymp bauen.
Ausgerechnet ihm, dem Häßlichsten, dem Ungeschicktesten im Umgang mit allem Weiblichen, ausgerechnet ihm gab Zeus die Aphrodite, die Göttin der Liebe, zur Frau – wahrscheinlich auch, um sich einen Spaß daraus zu machen.
Die Göttin der Liebe zur Frau zu haben ist nur auf den ersten Blick etwas Wunderbares, auf den zweiten Blick aber schon nicht mehr. Aphrodite holte sich jeden Mann, den sie wollte, sie betrog den Hephaistos am laufenden Band. Zu lieben war ihre Bestimmung, Treue oder gar sexuelle Zurückhaltung waren ihr fremd.
Am liebsten trieb es Aphrodite mit dem Gott des Krieges, mit Ares. Dieser Ares, ich sage es gleich ganz offen, ist mir der unsympathischste Gott im ganzen Olymp. Dieser Ares ist ein Hartholzkopf, ein Schlagetot, einer, der sich sofort für jeden Unfug in Reih und Glied drängen läßt. Er ist derjenige, der sich nur im männerbündnerischen Einklang wohl fühlt, der Weitbrunzwettbewerbe im dampfenden Morgengrauen veranstaltet. Er ist derjenige, der mit Baseballschlägern auf die Schwächeren eindrischt, er ist derjenige, der bedenkenlos und gedankenlos die Kriege anzettelt. Das ist Ares, unsympathisch.
Er trieb es mit Aphrodite bei jeder Gelegenheit. Er hat ihr auch mehrere Kinder gemacht. Hephaistos wußte es nicht. Alle Götter wußten es, nur Hephaistos wußte es nicht.
Helios, der Sonnengott, brachte es schließlich ans Licht, er verriet es dem Hephaistos.
Hephaistos dachte sich eine List aus. Er schmiedete ein wunderbares Netz, das so hart war wie Stahl und so fein wie Spinnwebe. Das hängte er heimlich über sein Bett und tat dann so, als ob er nach Lemnos zu seinen Verehrern aufbreche. Kaum war er um die Ecke, wälzten sich Aphrodite und Ares in dem Bett. Aber plötzlich fiel, durch einen Mechanismus ausgeklinkt, das Netz herunter und fesselte die beiden, so daß sie sich nicht mehr rühren konnten.
Da trat Hephaistos hervor und zeigte auf Aphrodite und Ares und rief alle Götter herbei und beschuldigte Aphrodite des Ehebruchs. Er forderte die Hochzeitsgeschenke zurück.
Die Götter lachten über Hephaistos, weil er der Gehörnte war. Aber dann lachten sie auch über Ares und Aphrodite. Und über Ares und Aphrodite lachten sie noch mehr als über Hephaistos. Das war die Rache des Gehörnten. Etwas psychologisch höchst Raffiniertes zeigt sich hier, ähnlich wie bei dem Thron für Hera, daß ein Mensch – ein Gott ebenso – dann am lächerlichsten
Weitere Kostenlose Bücher