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 Sagen des klassischen Altertums

Sagen des klassischen Altertums

Titel: Sagen des klassischen Altertums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Trauernde; und obwohl der eine die Ursache für die Trauer des anderen ist, begreifen sich die beiden in ihrer Trauer. Die Trauer, als wäre sie Fleisch und Blut geworden, ist so stark, daß sie diese beiden Männer vereint, und es gibt ein kurzes Zögern, da hätten sie sich beinahe umarmt. Sie wissen: Es gibt auf diesem Fleck Erde niemanden, der von der Gottheit der Trauer so erfüllt und so angefüllt worden ist wie wir beide.
    Achill gibt die Leiche des Hektor frei.
    Damit endet die Geschichte der Ilias.
    Wie geht es weiter? Paris schießt einen Pfeil ab, der Pfeil wird gelenkt von Apoll, er trifft Achill in der Ferse. Achill stirbt.
    Und wie endet Troja? – Merkwürdigerweise erfahren wir das weder aus der Ilias noch aus der Odyssee. Wir erfahren es von einem anderen, viel späteren Schriftsteller, wir erfahren es von dem Römer Vergil, aus seiner Äneis.
    Äneas, der sich mit wenigen aus dem brennenden Troja retten konnte, erzählt später, wie Troja unterging. Es war eine Auslöschung.
    Nicht Odysseus war es übrigens, der das trojanische Pferd erfunden hatte, wie immer wieder behauptet wird, sondern es war ein trojanischer Seher namens Helenos, ein Sohn des Priamos. Er hatte dem Odysseus geweissagt, wie Troja untergehen würde. Er hatte im Traum ein großes Pferd gesehen, in dessen Bauch die Vernichtung lauerte.
    Odysseus hat das pragmatisch interpretiert, er ließ ein riesiges hölzernes Pferd bauen, darin versteckte er die Krieger. Die Griechen stellten das Pferd vor der Stadt Troja auf und zogen mit ihren Schiffen ab, so daß der Eindruck entstehen mußte, sie hätten aufgegeben und als ein kriegerisch-freundschaftliches Abschiedsgeschenk dieses Pferd zurückgelassen.
    Kassandra, die Seherin, die verflucht war, alles Unglück zu sehen, aber gleichzeitig keinen Glauben zu ernten, warnte vor diesem Pferd. Sie sagte: »Holt es nicht in die Stadt! Es wird uns vernichten!«
    Aber die Trojaner lachten sie aus, sagten: »Ein Pferd aus Holz soll uns vernichten? Die griechische Flotte konnte uns in zehn Jahren nicht vernichten, da soll es dieses Riesenspielzeug können?«
    Sie zogen das Pferd in die Stadt. In der Nacht, als alle schliefen, sagte ihnen ein trojanischer Verräter Bescheid, eine Luke im Bauch des Pferdes wurde geöffnet, die Krieger stiegen heraus, schlichen sich an die Tore von Troja, öffneten die Tore. Draußen wartete das griechische Heer.
    Die Soldaten marschierten in die Stadt und metzelten alles nieder, was lebendig war. Sie verschonten weder Frauen noch Kinder noch alte Männer, sie töteten die Hunde, und die Katzen, die hübschen Vögel in den hübschen Käfigen, das Vieh, alles. Frauen, die hübsch genug waren, den griechischen Soldaten als Dirnen und Sklavinnen zu dienen, blieben am Leben. Sie wurden aufgeteilt. Agamemnon nahm sich Kassandra. Neoptolemos, der Sohn des Achill, nahm sich die Gattin des Hektor. Odysseus, heißt es, bekam die alte Hekabe. Aber es heißt auch, er ließ sie ziehen.
    Die Griechen plünderten die Stadt. Sie sprengten die letzten Hausreste, und so verließen sie nach zehn Jahren das vorher blühende Troja, fuhren zurück, nach Hause, nach Griechenland. Fuhren zurück in ihre Städte, wo ihre Frauen sich entweder schon andere Männer genommen hatten oder wo sie, wie Agamemnon, von ihren Frauen erschlagen wurden.

Odyssee
    Bei Kalypso – Telemach – Bei den Phäaken –
Polyphem – Die Sirenen – Die Heimkehr – Noch einmal
Telemach – Der Freiermord – Mann und Frau
     
     
    Nur einer fand nicht den Weg nach Hause. Odysseus. Ihm war bestimmt, nachdem er zehn Jahre vor Troja gekämpft hatte, weitere zehn Jahre auf dem Meer herumzusegeln. Er mußte auf Irrfahrt gehen.
    Ich möchte mich hier ganz auf die Dramaturgie des Homer verlassen. Seine Odyssee hält sich nicht an eine chronologisch richtige Reihenfolge der Ereignisse. Ich will so erzählen, wie Homer seine Odyssee geschrieben hat. Der Aufbau der Odyssee ist kompliziert und raffiniert, hat mit der archaischen Geradheit der Ilias nichts mehr gemein. Das ist einer der Gründe, warum die Forschung der Meinung ist, Ilias und Odyssee seien von verschiedenen Dichtern verfaßt. Wer hat diese beiden Werke eigentlich geschrieben? Wurde die Odyssee von einem oder von mehreren Autoren verfaßt? Das ist die sogenannte Homerische Frage. Sie ist interessant, und um ihre Klärung wurde erbittert gefochten. Mich hat diese Frage nie aufgeregt.
    Nun, Homer – was auch immer unter diesem Namen zu verstehen ist – läßt

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