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 Sagen des klassischen Altertums

Sagen des klassischen Altertums

Titel: Sagen des klassischen Altertums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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ihm«, sagte Palamedes.
    Penelope, das konnten die drei Helden sehen, war sehr aufgeregt, wirkte sehr unsicher. Sie trug den kleinen Telemach auf dem Arm und ging voran. Die drei folgten ihr zum Strand hinunter.
    Dort bot sich ihnen ein seltsames Bild: Der listenreiche, für seine Klugheit im ganzen Erdenkreis berühmte Odysseus pflügte den Sand. Er hatte vor den Pflug einen Ochsen und einen Esel gespannt, auf dem Kopf trug er eine Narrenkappe. Er pflügte den Sand und säte in die Furchen Salz.
    Menelaos, der ein weiches Herz hatte und den Odysseus immer sehr geliebt hatte, fing zu weinen an und rief: »Mein großer Freund Odysseus ist übergeschnappt! Er ist verrückt geworden! Wir können ihn nicht mitnehmen in den Krieg! Denn mit einem Verrückten kann man nicht Krieg führen!«
    Wir wollen hier nicht so weit gehen und sagen: Odysseus war der erste Kriegsdienstverweigerer.
    Palamedes sagte: »Wir wollen schauen, ob er tatsächlich verrückt ist.«
    Er wandte sich plötzlich Penelope zu, riß ihr das Kind aus den Armen und legte es vor den Pflug des Odysseus. Da hielt Odysseus Ochse und Esel zurück, hob den Pflug hoch, so daß sein kleiner Sohn unverletzt blieb.
    Da sagte Palamedes: »Verrückt hin oder her, so verrückt, daß er zwischen Leben und Tod nicht unterscheiden kann, ist er auf alle Fälle nicht.«
    Das ist die gängige Version dieser Geschichte. Es gibt allerdings noch eine andere, und diese andere Version will ich auch noch erzählen:
    Odysseus hatte, so heißt es, seherische Gaben. Aber was er sah, konnte er nicht in Worte fassen, er konnte es weder aufschreiben, noch konnte er es sagen. Er mußte es zeigen. Er hatte, wie wir wissen, Ochs und Esel vor den Pflug gespannt. Der Ochse ist ein Symbol für Zeus, der Esel ein Symbol für Kronos, beide zusammen stellen ein Jahr dar, Sommer und Winter. Odysseus hat mit dem Pflug neun Furchen in den Sand gezogen, und in neun Furchen hat er Salz gesät. Bei der zehnten Furche ist ihm der Telemach vor den Pflug gelegt worden. Das wird so interpretiert: Neun Jahre wird der Krieg dauern, neun unfruchtbare Jahre, denn wenn man Salz sät, entsteht nichts, und im zehnten Jahr wird die entscheidende Schlacht sein, dann wird der Krieg zu Ende sein. Denn Telemachos heißt: der den Kampf zu Ende führen wird. Denn das Wort »telos« mit Epsilon als zweitem Buchstaben bedeutet das Ziel, das Ende. Es ist dies eine vorhomerische Deutung der Sage. Homer schrieb Telemachos mit einem Etha als zweitem Buchstaben. In diesem Fall bedeutet der Name: der in der Ferne Kämpfende.
    Odysseus, so die zweite Variante der Sage, hat mit seinem scheinbar absurden Pflügen des Strandes eine Weissagung gemacht, nämlich daß der bevorstehende Krieg zehn Jahre dauern wird, und daß es zehn fruchtlose Jahre sein werden. Wie es scheint, haben Menelaos, Nestor und Palamedes diese Botschaft nicht verstanden – oder sie wollten sie nicht verstehen.
    Was auch immer die Motive für das seltsame Verhalten des Odysseus waren, dem Kriegsdienst hat er sich nicht entziehen können.
    Nun mußte Achill gefunden werden. Aber niemand wußte, wo er war. Seine Mutter Thetis und sein Vater Peleus kannten einen Orakelspruch über ihren Sohn, er besagte: »Entweder er wird der größte Held der Welt werden und wird dafür sehr jung sterben, oder aber er wird ein ereignisloses Leben führen und sehr alt werden.«
    Die Eltern wollten verständlicherweise lieber, daß ihr Sohn alt und ruhmlos sterben sollte. Sie versteckten Achill in einer Art Mädcheninternat. Sie zogen ihm Mädchenkleider an und dachten, hier wird ihn schon niemand finden.
    Nachdem Odysseus mit seiner List nicht durchgekommen war, war er besonders kräftig bei der Sache: Er nahm den Fall Achill in die Hand, und bald brachte er in Erfahrung, wo Achill steckte. Dann wandte er einen Trick an: Im Speisesaal des Internats legte er auf einem großen Tisch verschiedene Dinge aus: Schmuck und schöne Kleider auf der einen, Waffen und Rüstungen auf der anderen Seite. Dann, als die Mädchen zur Schlafenszeit in ihre Betten gegangen waren, ließ er Alarm geben. Es wurde ausgerufen: »Feuer, Feuer, die Feinde kommen, die Feinde kommen, Feuer ist schon gelegt!«
    Die Mädchen sprangen aus ihren Betten und liefen in den Speisesaal, und die Mädchen, wie sie halt sind, oder wie diese Sage meint, daß sie seien, stürzten sich alle auf den schönen Schmuck und auf die schönen Kleider, nur ein Mädchen griff nach den Waffen.
    Da sagte Odysseus: »Wir wollen

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