Sagen von der Alhambra (German Edition)
angefüllt sah, aber Boabdil und sein Scheinhof waren verschwunden. Der Mond schien in die Säle und Gallerien, die ihres vorübergehenden Glanzes beraubt und wieder leer waren, befleckt und verderbt von der Zeit, und mit Spinnengeweben rings behangen. In dem ungewissen Licht flatterte die Fledermaus umher, und in dem Fischteich quakte der Frosch.
Sanchica eilte nun, so viel sie konnte, zu einer fernen Treppe, welche zu der ärmlichen Wohnung führte, die ihre Familie einnahm. Die Thüre war wie gewöhnlich offen, denn Lope Sanchez war zu arm, um Riegel oder Schloß zu bedürfen. Sie suchte still ihr Lager, legte den Myrtenkranz neben sich und versank alsbald in Schlaf.
Am Morgen erzählte sie ihrem Vater Alles, was ihr begegnet war. Lope Sanchez aber betrachtete das Ganze als einen bloßen Traum und lachte das Kind wegen seiner Leichtgläubigkeit aus. Er ging seiner gewöhnlichen Arbeit in dem Garten nach, war aber noch nicht lange da, als sein Töchterchen fast athemlos gelaufen kam: »Vater, Vater!« rief sie; »sieh den Myrtenkranz, den mir die maurische Dame um den Kopf gewunden hatte.«
Lope Sanchez sah mit Erstaunen hin, denn der Stengel der Myrte war von lauterm Gold, und jedes Blatt war ein funkelnder Smaragd! Da er nicht viel mit Edelsteinen zu schaffen gehabt hatte, kannte er den wirklichen Werth des Kranzes nicht, sah aber genug, um sich für überzeugt zu halten, daß er etwas Wesentlicheres sei als die Dinge, aus denen Träume gewöhnlich bestehen, und daß das Kind auf jeden Fall nicht ganz vergeblich geträumt habe. Seine erste Sorge war, seiner Tochter das unbedingteste Stillschweigen anzubefehlen; in dieser Beziehung war er jedoch sicher, denn sie war verschwiegener, als ihre Jahre und ihr Geschlecht erwarten ließen. Er ging nun in das Gewölbe, in welchem die Statuen der zwei Nymphen von Alabaster standen. Er sah, daß ihre Köpfe von dem Eingang abgewendet, und daß die Blicke einer jeden auf dieselbe Stelle in dem Innern des Gebäudes gerichtet waren. Lope Sanchez konnte diese sehr kluge Erfindung, ein Geheimniß zu bewahren, nur bewundern! Er zog eine Linie von den Augen der Statuen zu dem Punkte, auf den ihr Blick geheftet war, machte ein heimliches Zeichen auf die Wand und ging weg.
Lope Sanchez’ Geist war jedoch den ganzen Tag von tausend Sorgen beunruhigt. Er konnte nicht umhin, die Statuen von fern im Auge zu behalten, und wurde fast krank aus Angst, das goldene Geheimniß möchte entdeckt werden. Jeder Fußtritt, welcher sich dem Orte näherte, machte ihn beben. Er hätte Alles darum gegeben, hätte er die Köpfe der Statuen nur wenden können, und vergaß ganz, daß sie schon mehre Jahrhunderte in derselben Richtung blickten, ohne daß darum Jemand klüger geworden wäre.
»Hol’ sie der Teufel«, sagte er zu sich selbst; »sie werden Alles verrathen. Hat je ein Mensch gehört, daß man ein Geheimniß so bewahrt?« Wenn er dann Jemand kommen hörte, stahl er sich weg, als ob sein Weilen so nahe an diesem Orte Verdacht erregen könnte. Dann kehrte er vorsichtig zurück, schaute von ferne hin, um zu sehen, ob noch Alles beim Alten wäre; aber der Anblick der Statuen erweckte wieder seinen ganzen Unwillen. »Ach, da stehen sie«, sagte er, »und sehen und sehen und sehen immer dahin, wohin sie nicht sehen sollten. Wären sie beim Henker! Sie sind wie alle ihres Geschlechtes; wenn sie keine Zungen haben, mit denen sie plaudern können, so thun sie’s gewiß mit ihren Augen.«
Endlich näherte sich zu seiner Freude der ängstliche Tag seinem Ende. Man vernahm keine Fußtritte mehr in den hallenden Sälen der Alhambra; der letzte fremde Besucher überschritt die Schwelle, das große Thor wurde verriegelt und verschlossen, und die Fledermaus und der Frosch und die heulende Eule übernahmen allmählich wieder ihre nächtlichen Geschäfte in dem verlassenen Palast.
Lope Sanchez wartete gleichwohl, bis die Nacht weit vorgeschritten war, ehe er sich mit seiner kleinen Tochter in den Saal der zwei Nymphen wagte. Er fand sie so verschwiegen und geheimnißvoll wie immer auf den verborgenen Schein seines Glückes schauend. »Mit Eurer Erlaubniß, holde Damen«, dachte Lope Sanchez, als er zwischen ihnen durchging, »ich will Euch von Eurem Dienste, der die vergangenen zwei oder drei Jahrhunderte so schwer auf Euern Herzen gelastet haben mag, erlösen.« Er begann sodann an dem von ihm bezeichneten Theil der Mauer seine Arbeit und öffnete nach einer kleinen Weile eine versteckte Vertiefung,
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