Sakrileg – The Da Vinci Code: Inkl. Leseprobe aus „Inferno“
flüsterte er und wiederholte damit die heilige Formel von Pater Josemaría Escrivá, Lehrer aller Lehrer. Escrivá war 1975 gestorben, doch seine Weisheit lebte fort. Tausende gläubiger Diener auf der ganzen Welt flüsterten noch immer seine Worte, wenn sie zur heiligen Bußübung der Selbstkasteiung niederknieten.
Ein dicker Strick mit hineingeknüpften Knoten lag säuberlich aufgerollt neben Silas auf dem Boden. Die Geißel. Die Knoten starrten von eingetrocknetem Blut. Silas sehnte sich nach der reinigenden Wirkung der Pein. Nach einem kurzen Gebet ergriff er das Ende der Geißel, schloss die Augen und peitschte den Knotenstrick mit geübter Bewegung in frommer Selbstgeißelung über die Schulter auf seinen Rücken. In rhythmischer Monotonie hieb er auf sein Fleisch ein.
Castigo corpus meum.
Endlich spürte er das Blut fließen.
3. KAPITEL
D ie frische Luft des April pfiff durch das offene Seitenfenster in den Citroën ZX, der mit Robert Langdon auf dem Beifahrersitz in südlicher Richtung zuerst am Opernhaus vorbei und dann über den Place Vendôme raste, wobei Langdon versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Eine kurze Dusche und eine schnelle Rasur hatten einen halbwegs vorzeigbaren Menschen aus ihm gemacht, aber wenig dazu beigetragen, seine ängstliche Unruhe zu dämpfen. Das grässliche Bild der Leiche des Museumsdirektors hatte sich in sein Gehirn eingebrannt.
Jacques Saunière … tot!
Langdon empfand den Tod des Museumsdirektors als schweren Verlust. Saunière galt zwar als Einzelgänger, doch als anerkannter Gelehrter und Liebhaber der Kunst konnte er sich über mangelnde Ehrungen nicht beklagen. Seine Veröffentlichungen über die Geheimbotschaften in den Gemälden Poussins und Teniers’ gehörten zu Langdons bevorzugtem Unterrichtsmaterial. Langdon hatte sich von dem abendlichen Treffen mit Saunière sehr viel versprochen. Als der Museumsdirektor nicht erschien, war seine Enttäuschung groß gewesen.
Wieder schoss ihm das Bild von Saunières Leiche durch den Kopf. Das soll Saunières eigenes Werk gewesen sein? Langdon blickte zum Fenster hinaus und zwang sich, nicht mehr an den grässlichen Anblick zu denken.
Draußen legte sich allmählich der Trubel der Stadt. Fliegende Händler schoben ihre Verkaufswagen nach Hause, Kellner schafften volle Müllsäcke an den Straßenrand, ein Liebespaar hielt sich eng umschlungen, um im Nachtwind, der nach Jasmin duftete, nicht zu frösteln. Der Citroën fuhr mit hoher Geschwindigkeit sicher durch das Gewühl, das sich vor dem schrillen Zweiklanghorn spaltete wie Butter unter einem heißen Messer.
» Le Capitaine hat mit Zufriedenheit festgestellt, dass Sie noch in Paris sind«, ergriff der Beamte zum ersten Mal seit der Abfahrt vom Hotel das Wort. »Ein glücklicher Zufall.«
Langdon war über diesen Zufall alles andere als glücklich; ohnehin hielt er nicht viel von Zufällen. Als ein Mann, der sein Leben der Erforschung verborgener Verbindungen von anscheinend völlig zusammenhangslosen Emblemen und Zeichen verschrieben hatte, betrachtete Langdon die Welt als ein Geflecht vielfältig vernetzter Ereignisse und Geschichten. Die Verbindungen mögen unsichtbar sein , pflegte er den Studenten in seinen Seminaren über Symbolologie an der Harvard-Universität zu predigen, aber es gibt sie trotzdem. Man muss nur ein bisschen an der Oberfläche kratzen.
»Ich nehme an, die Amerikanische Universität in Paris hat Ihnen gesagt, wo ich zu finden bin«, sagte Langdon.
Der Fahrer schüttelte den Kopf. »Nein. Interpol.«
Interpol? , dachte Langdon. Ach ja, natürlich. Er hatte ganz vergessen, dass das in europäischen Hotels übliche und anscheinend so belanglose Vorzeigen des Passes bei der Anmeldung mehr war als bloß eine lästige Formalität. In jeder beliebigen Nacht konnten die Beamten von Interpol genau sagen, wer wo in Europa nächtigte. Es hatte vermutlich nicht einmal fünf Sekunden gedauert, um Langdon im Ritz aufzuspüren.
Während der Citroën in südlicher Richtung durch die Stadt brauste, erschien rechts in der Ferne die himmelstürmende Silhouette des beleuchteten Eiffelturms. Langdon musste an Vittoria denken und das spielerische Versprechen auf ein Wiedersehen alle sechs Monate irgendwo auf der Welt an einem romantischen Ort – ein Versprechen, das sie sich damals vor einem Jahr gegeben hatten. Nach Langdons Einschätzung hatte der Eiffelturm gute Aussichten, in die nähere Auswahl zu kommen. Leider war seit dem letzten Kuss auf einem
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