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Salomes siebter Schleier (German Edition)

Salomes siebter Schleier (German Edition)

Titel: Salomes siebter Schleier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Robbins
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der Vögel. Will heißen, sie kommen zwar mit einem charakteristischen Gesang zur Welt, einer angeborenen Melodie, die zufällig eine der vielseitigsten Ausdrucksweisen der Vogelwelt ist, doch geben Spottdrosseln sich keineswegs damit zufrieden, die Karte zu spielen, die sie zufällig gezogen haben. Wie alle Künstler sind sie darauf aus, die Realität zu
verändern
. Innovativ, eigensinnig, wagemutig, keineswegs an Regeln gebunden, die andere blind befolgen würden, schnappt die Spottdrossel alle möglichen Fetzen von Vogelgesang auf, in diesem Baum einen und von jenem Feld einen anderen, macht sie sich zu eigen, stellt sie in einen neuen und unerwarteten Kontext, erschafft eine neue Welt aus der alten. In South Carolina soll es eine Spottdrossel gegeben haben, die den Gesang von zweiunddreißig verschiedenen Vogelarten zu einem zehnminütigen Konzert verschmelzen konnte, eine virtuose Darbietung, die keinem praktischen Zweck diente und daher in die Sparte reine Kunst fiel.
    Und so kam es, dass Spottdrosseln in den Hornsträuchern und Fliederbüschen auf dem Gelände der Third Baptist Church von Colonial Pines Kunst schufen und «dem Herrn ein fröhlich Lied sangen», während sich im Inneren des Gebäudes, eines typisch georgianischen Rechtecks aus staubfarbenen Ziegeln mit pedantischen weißen Verzierungen, mehrere hundert frisch geschrubbte, wohlgenährte menschliche Wesen keineswegs um die Schöpfung kümmerten, sondern um die Vernichtung. Die endgültige Vernichtung.
    Im Zentrum Virginias, wo Colonial Pines gelegen ist, war der Frühling schneller auf den Beinen als drüben im äußersten Westen, durch den Boomers und Ellen Cherrys Truthahn stetig ostwärts fuhr. Die Weidenkätzchen waren in Virginia bereits gekommen und wieder gegangen, und Hornstrauchblüten mit kränklichen Gesichtern, die an Elfen mit Verstopfung erinnerten, strengten sich an, ihren Platz einzunehmen. Aus unterirdischen Silos feuerten Jonquillenzwiebeln eine Salve von butterspitzenbewehrten Stängeln nach der anderen ab; alle Arten von Knospen schwollen und platzten auf, Vögel (nicht nur Spottdrosseln) spannten Vogelsangleinen von Baumwipfel zu Zaunpfahl, Bienen und andere Insekten erwachten vom ungewohnten Alarm ihres eigenen leisen Summens; überall befand sich die warme Welt der Natur in einem Prozess von Wiedergeburt und Erneuerung, fast als wolle sie bewusst Zweifel an der Richtigkeit der Predigt säen, die im Inneren der Kirche gerade zu Ende ging.
    «Gott hat uns ein Zeichen gegeben», donnerte der Prediger von seiner eichenfurnierten Kanzel herab. «Ein
Zeichen
! ’ne Warnung, wenn ihr so wollt. ’nen weisen Ratschlag. Er hat seinen Kindern ein deutliches, leicht verständliches Zeichen gegeben, Worte in hohen schwarzen Lettern, vielleicht in goldnen Lettern – vielleicht sogar in
Neon
schrift. Jedenfalls so, dass keinerlei Zweifel an seiner Botschaft bestehn. Dieses Zeichen hat der Herr seinem geliebten Jünger Johannes unter die Nase gehalten, und da Johannes ein rechtschaffener Kerl war, ein
weiser
Bursche, hat er nich mit der Wimper gezuckt, sich am Kopf gekratzt oder nach Einzelheiten gefragt, nein: Der heilige Johannes hat nich erst beim Anwalt angerufen und sich juristischen Beistand geholt, nein, Johannes las das Zeichen, schrieb es nieder und gab es an die Menschheit weiter. An euch und an mich.»
    Die Stimme des Predigers erinnerte an ein Saxophon. Nicht an das coole, lakonische Horn eines Lester Young, sondern an das volle, satte, lebendige Saxophon eines, na, sagen wir Charlie Barnet. Es lag eine wunderbare, dunkle Poesie in seiner Stimme, eine Art Trotz, der aus tiefer Einsamkeit erwächst. Sein pockennarbiges Gesicht war hager und wirkte hungrig, es war ein gezeichnetes Gesicht, verunstaltet von Pusteln und den Absonderungen fauliger Zähne. Doch der Klang der Stimme, der aus diesem Gesicht unter dem jungenhaft feuchten schwarzen Haarschopf drang, dieser Klang war schöpferisch und rund und düster romantisch. Besonders die Frauen in der Gemeinde waren hingerissen von dieser Stimme, kamen allerdings nie auf die Idee, dass vielleicht nur frischer Eiter ihren erregenden Klang bewirkte.
    «Was Gott der allmächtige Vater Johannes gesagt hat, war Folgendes: Wenn die Juden in ihre Heimat zurückkehren – jawohl! wenn die Juden erst wieder im Lande Is-ra-el zu Hause sind –, dann is das Ende der Welt nich mehr weit!»
    Der Prediger machte eine Pause. Seine hungrigen Augen fixierten die Gemeinde. Verlin Charles

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