Salomes siebter Schleier (German Edition)
Vorspiel
Das ist der Raum mit der Wolfsmuttertapete. Das Giftpilzmotel, das du stets für ein Volksmärchen hieltest, für eine sentimentale, altmodische Erfindung vom Lande.
Das ist der Raum, in dem dein weisester Vorfahr zur Welt kam, ganz gleich ob du Christ, Araber oder Jude bist. Das Linoleum unter deinen Füßen ist geweihtes Linoleum. Bitte zieh die Schuhe aus. Erst vor kurzem wurde dieses Linoleum mit einem Wachs aus Hornissenfett wieder auf seinen ursprünglichen Hochglanz gebracht. Es nutzt sich schnell ab. Also mach dir nichts draus, wenn du Löcher in den Socken hast.
Das ist der Raum, wo deine Musik erfunden wurde. Beachte das geplatzte Trommelfell an der Wand, das auf die Wolfsmuttertapete genagelt ist über dem Waschbecken in der Ecke, wo die störrische Ehefrau ihre seidenen Unterhöschen wusch und sie im bläulichen Schein des Neonlichts («Belegt!») begutachtete, das draußen im fahlen Eidechsenmorgengrau verdächtig flackerte.
Welcher Raum das ist? Es ist der Raum, wo das Geweih den Kürbis ausstach. Es ist der Raum, wo sich die Abflussrohre am Mondschein berauschten. Es ist der Raum, wo das Moos allmählich den Schatz erstickte, die Rubine zuletzt. Signale aus Insektenantennen wurden in diesem Raum abgehört. Erstaunlich, wie oft sie in ihren Sendungen auf die Sterne anspielten.
Ein Hinweis: Das ist der Raum, wo der bemalte Stock begraben, wo die Schneckenmuschel in schmeichlerischen Papyrus gehüllt lag. Liebhaber häuteten sich schlangengleich in diesem Raum aus Lehm. Erinnerst du dich
jetzt
an die Tapete? An die Sprache der Tapete? An die Rosen aus dem Blut der Wolfsmutter, die hier vibrierten?
Doch genug von diesem wilden Fuchsgebell. Du bist in einem uralten Cadillac gekommen, einer Kiste, von der du sagst, du hättest vergessen, wie man sie fährt. Du hast zwischen dem Swimmingpool und der Reihe von geschwärzten Schädeln geparkt.
Klar
weißt du, welcher Raum das ist.
Es ist der Raum, wo Jezabel sich die Lider mit dem tragischen Flimmer der Geschichte bestäubte, wo Delila ihre Konzession als Kosmetikerin erwarb, der Raum, in dem Salome den siebten Schleier fallen ließ, als sie den Tanz der höchsten Erkenntnis tanzte, mit Storchenbeinen und allem.
Der erste Schleier
Es war ein strahlender Tag zu Beginn des Frühlings, sanft wie ein Weidenkätzchen, alles taute und schmolz, und die Jungvermählten fuhren in einem großen Truthahn quer durchs Land.
Der Truthahn lag auf dem Rücken, wie es sich für gebratene Truthähne gehört, die Brust willig dem Tranchiermesser dargeboten, die fetten Schlegel steif, aber unbekümmert emporgereckt, als wollte er im nächsten Augenblick wieder auf die Füße springen, aber natürlich hatte er keine Füße, was diese Möglichkeit vage und lächerlich erscheinen ließ und noch zu der Aura vertrottelter Verletzlichkeit beitrug, die den Truthahn umgab.
Trotz fehlender Füße, einer mitleiderregenden Verkrüppelung, schoss dieser gebratene Truthahn – beziehungsweise sein überdimensionales Ebenbild – mit fünfundsechzig Meilen pro Stunde über den Highway und kam so mit gespreizten Beinen schneller und weiter voran als so manches aufstrebende Filmsternchen.
Der Truthahn, der jetzt im schwachen Licht der Märzsonne glänzte, war das Hochzeitsgeschenk des Bräutigams an die Braut gewesen, obgleich das Eigentumsrecht beim Bräutigam verblieb und er tatsächlich nie auf seinen Besitzanspruch verzichten sollte. Eigentlich machte die Präparierung des Truthahns, ja das bloße Phänomen seiner Existenz, das eigentliche Geschenk an die Braut aus. Wichtiger noch, die Materialisation des Truthahns, die überschwängliche, schwindelerregende Überraschung seiner Kreation, hatte letztendlich erst zur Eheschließung geführt: Der Bräutigam Boomer Petway hatte den Truthahn benutzt, um Ellen Cherry Charles auszutricksen. Jedenfalls dachte Ellen Cherry das in diesem Augenblick, kaum eine Woche nach der Hochzeit, während sie zusah, wie der Truthahn die schmelzende Landschaft in seine Windschutzscheibe sog und durch den Rückspiegel wieder ausspie: dass Boomer sie reingelegt hatte. Kaum eine Woche nach der Hochzeit war das wohl nicht gerade ein günstiges Vorzeichen für bevorstehende Jahrzehnte ehelichen Glücks.
Manche Ehen werden im Himmel geschlossen
, dachte Ellen Cherry.
Meine ist
made in Hongkong.
Wie die kleinen Schweinekoteletts aus Gummi, die sie im K-Mart in der Tierabteilung verkaufen.
I & I
Spottdrosseln sind wahre Künstler im Königreich
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