Salomes siebter Schleier (German Edition)
würde später sagen: «Manchmal, wenn er uns so anstarrt, hab ich das Gefühl, er will mir die Blüte aus’m Knopfloch fressen.» Worauf seine Frau Patsy erwiderte: «Ich weiß nich, ich finde, er sieht eher aus, als würd er im Geist an mei’m Höschen sabbern.» Verlin Charles hielt überhaupt nichts von Patsy Charles’ Interpretation der hungrigen Blicke des Predigers und machte auch keinen Hehl daraus.
Links vom Altar hob ein Radiotechniker drei Finger. Reverend Buddy Winkler nahm die Geste aus den Augenwinkeln wahr, ließ von der starren Betrachtung seiner Herde ab und wandte sich wieder dem Mikrophon zu.
«Nach der Rückkehr der Juden in ihre Heimat is das
Ende der Welt
nich mehr weit. Das is das Zeichen, das Gott uns hinterlassen hat. Warum hat er das getan? Ich möcht euch mal was fragen. Glaubt ihr, Gott hat uns diese kleine Neuigkeit einfach so nebenbei mitgeteilt, als wär’s ein Stück Tratsch, ein interessanter Absatz aus dem
Reader’s Digest
? Oder hat Gott vielleicht was damit bezweckt, als er Johannes das Zeichen offenbarte? Hat er ein
Motiv
gehabt, als er Johannes befahl, die Prophezeiung im Buch der Offenbarungen niederzuschreiben? Solln wir vielleicht auf diese Botschaft irgendwie reagieren?»
Der Techniker hob zwei Finger. Buddy Winkler nickte und beschleunigte sein Tempo. Jetzt ging er in die Vollen wie Charlie Parker, ließ eine geballte Ladung harmonischer Rhetorik auf seine Zuhörer niederprasseln und brachte seine Saxstimme auf ungefähr achtundfünfzig Takte in der Minute. Den üblichen Tenor hatte er am Eingang der Synkopen abgegeben, er setzte jetzt mit dem Altsaxophon zu einer scharfen Schmährede gegen Semiten und Antisemiten gleichermaßen an: Unter einem Schwall ornamentaler Riffs forderte er seine Brüder auf, ihr Augenmerk auf Jerusalem zu richten, auf die Stadt, in der sich ihr Schicksal erfüllen würde, er ermahnte sie, sich auf ihren physischen Einzug nach Jerusalem vorzubereiten, wo die Rechtschaffenen unter ihnen den verheißenen Lohn in Empfang nehmen würden, kündigte für den folgenden Sonntag eine Beschreibung der Zustände im neuen Jerusalem an und erinnerte sie schließlich, dass auch diese Predigt wie alle in der Serie, die sich mit dem unmittelbar bevorstehenden Ende beschäftigten, über die Southern Baptist Voice of the Sparrow Network übertragen würde, dem die regionale Sendeanstalt WCPV angeschlossen war. Er hängte eine letzte schrille Gebetscoda an und schloss genau in dem Moment, als sich der Zeigefinger des Radiotechnikers senkte, mit «Amen».
Speichelrosetten schmückten sein Lächeln, als er vor der Kirchentür die Glückwünsche seiner Schäfchen entgegennahm.
«Starke Predigt, Reverend Winkler.»
«Gott schütze Sie, Roy.»
«Reverend Winkler, niemand predigt so wie Sie! Es berührt mich tief im Herzen, Sie sprechen etwas in mir an, Sie –»
«Es is der Herr, der durch mich spricht, Miss Packett.» Er quetschte ihr die Hand. «Es is das Werk des Herrn.»
«Wirklich prima, Bud. Übrigens, die Kröten sind unterwegs.»
«Weiß nich, ob ich dies Frühjahr Zeit zum Stechen hab, Verlin.»
«Bist wohl hinter andern Kröten her, wie, Bud?»
Die Pusteln in seinem Gesicht verfärbten sich tiefrot. «Also wirklich, Patsy!»
«Hast noch mehr Fische an der Angel, was?»
«Patsy!» Er sprach ihren Namen mit Mühe aus, als koste es ihn eine Riesenanstrengung, diese einsame, tiefe Note aus seinem Saxophontrichter zu locken. Es war Tadel und flehentliche Bitte zugleich. Patsy grinste und überließ ihn seiner Herde.
Verlin und Patsy Charles machten sich auf den Weg zu ihrem Buick Regal, der auf dem Parkplatz stand.
«Du könntest ihn wenigstens hier in Ruhe lassen, Patsy. In Gottes Haus …»
«Er stand doch draußen auf der Treppe.»
«… am Sabbat.»
«Bud bleibt Bud, egal, ob sonntags oder am vierten Juli.»
«Und am Jüngsten Tag?»
«Das werden wir noch schnell genug erleben, schätz ich mal», sagte Patsy, und Verlin lächelte im Schutz der Fliederhecke.
«Weißt du», sagte er, während er stehen blieb und einen neuen Ford-Lieferwagen bewunderte, der einem Bekannten von ihnen gehörte, «das Ende der Welt kann gar nich so unmittelbar vor der Tür stehn, wie er immer tut. Weißt du auch, warum? Weil’s ’ne Tatsache ist, dass mehr Juden in New York leben als in ganz Is-ra-el.» Er versuchte, es so auszusprechen wie sein Vetter Buddy, aber Verlins Stimme hatte mehr von einem Fiedelbogen als von einem Saxophon.
«Willst du sie
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