Salon der Lüste - 3
konnte.
»Wie ein Kind hat er mich weggeschickt!«
Es war Viertel nach sieben am Morgen, und Ivy schritt auf dem William-Morris-Teppich im Schlafzimmer ihrer Mutter auf und ab. Sie hätte ihre Mutter länger schlafen lassen sollen, denn sie sah aus, als wäre sie die halbe Nacht wach gewesen und hätte geweint. Doch Saints Ankunft musste besprochen werden.
Ihre Mutter lag lächelnd auf einem Berg weicher Daunenkissen. Inmitten der weißen Laken und weinroten Überdecken hatte sie etwas von einer kleinen Puppe. Ihr rotes Haar bildete einen seidigen Heiligenschein um ihr Gesicht, und trotz der vielen Tränen, die sie dieser Tage vergoss, waren ihre grünen Augen leuchtend und aufmerksam. Im sanften Licht der Morgensonne, die noch Stunden brauchte, bis sie ihre volle Kraft erreichte, sah Madeline Dearing nicht viel älter als Ivy aus - sehr zum gelegentlichen Verdruss der jüngeren Frau.
»Du warst ein Kind, als Samt dich zuletzt sah«, erwiderte Madeline, die schläfrig eine Locke ihres Haars mit dem Finger aufwickelte.
Ivy verzog den Mund. »Das ist keine Entschuldigung. Und außerdem war ich siebzehn, wohl kaum noch ein Kind.« Allein bei der Erinnerung an die Unterhaltung mit ihm wurde sie erneut ärgerlich. Er hatte sie von oben herab angesehen und ihr gesagt, er wäre müde und würde die Angelegenheit »später« besprechen wollen.
Ihre Mutter unterdrückte ein Gähnen. »Es war Sonnenaufgang. Fraglos war er müde und musste ausruhen.«
Ivy blieb stehen und fixierte ihre Mutter mit einem strengen Blick. »Wir sind alle müde. Dennoch ist es wichtiger, Goldies und Clementines Mörder zu finden, als zu schlafen. Nach allem, was das Maison Rouge für die Vampire getan hat, sollte man glauben, sie würden helfen wollen, doch nun ist Reign fort, und Saint braucht seinen Schönheitsschlaf!« Die Worte hinterließen einen bitteren Geschmack in ihrem Mund.
Erst zwei Wochen zuvor hatte sie Goldie und Clementine photographiert. Die beiden jungen Frauen hatten in den Kostümen, die Ivy ihnen brachte, gelacht und gespielt, sich eher wie Kinder denn erfahrene Freudenmädchen gegeben. Allerdings waren sie auch erst neunzehn und zwanzig Jahre alt gewesen. Und nun waren sie tot, ermordet von einem sadistischen Unmenschen.
Ihre Mutter beäugte sie mitfühlend, beinahe mitleidig. »Reign war fort, ehe es zu den entsetzlichen Gewalttaten kam, sonst wäre er bereits auf der Suche nach dem Mörder.«
Ja, das war äußerst günstig für Reign, dachte Ivy gereizt. »Wie bedauerlich, dass er es nicht für nötig erachtete, dir eine Adresse zu geben, unter der du ihn erreichen kannst! Nicht einmal seine eigenen Bediensteten wissen, wo er sich aufhält! «
»Dein Gesicht wird noch so bleiben, wenn du nicht aufhörst, höhnisch zu grinsen.«
Was mochte ärgerlicher sein: dass ihre Mutter bis heute mit ihr wie mit einem Kind redete oder dass Ivy darauf hörte? Sie seufzte.
»Es ist an der Zeit, den Tatsachen ins Auge zu blicken, Mama. Wir sind auf uns allein gestellt. Die Behörden sind ohnmächtig, und die Vampire lassen uns im Stich.
Mithin bleibt es uns überlassen, den Mörder seiner gerechten Strafe zuzuführen.«
Goldie und Clementine waren ihre Freundinnen gewesen, und sie wäre verdammt, würde sie zulassen, dass der Mann, der sie tötete, in Freiheit blieb.
»Ich bin sicher, dass Saint lediglich etwas Zeit wollte, um die Situation zu überdenken, und mit uns reden wird, sobald er ausgeruhter ist.«
Überdenken? Was gab es da zu überdenken? Zwei Frauen waren tot! »Du hast offenbar eine höhere Meinung von ihm als ich.«
»Ich kenne ihn.«
Wäre es möglich gewesen, die Augen zu verdrehen und gleichzeitig zu schmollen - Ivy hätte es getan. »Zehn Jahre können einen Menschen verändern, Mama.«
Ihre Mutter strich mit beiden Händen ihre Bettdecke glatt. »Bist du nicht diejenige, die mir fortwährend beteuert, Menschen würden sich nicht ändern?«
Weil Ivy nichts einfiel, das sie entgegnen könnte, stieß sie nur einen spöttischen Laut aus. ja, das hatte sie gesagt.
Ihre Mutter lächelte selbstzufrieden. »Nanu? Keine kecke Gegenrede? Saint muss ziemlich Eindruck auf dich gemacht haben.«
Diese Bemerkung traf mehr zu, als Ivy lieb war. Nicht bloß war Saint genauso selbstbewusst und egoistisch gewesen, wie sie ihn in Erinnerung hatte, sondern auch noch genauso unglaublich gutaussehend. Wenn sie ehrlich war, hatte sie in ihrem Leben noch kein atemberaubenderes Wesen gesehen. Er war fast zu sinnlich. Ivy
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