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Salz auf unserer Haut

Salz auf unserer Haut

Titel: Salz auf unserer Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benoite Groult
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einmal hat er seine Bahn verlassen, für mich und aus Gründen, die er gewöhnlich nicht als gültig anerkennt: Lust, unverständliche Anziehungskraft. Sind das nicht genau die Verlockungen des Teufels? Was mich betrifft, so wundere ich mich ebensosehr über das derzeitige Schweigen meines Körpers wie über seinen besinnungslosen Aufschrei, wenn ich in Gauvains Nähe bin. So wie man nach einem Rausch keinen Alkohol mehr sehen kann, so frage ich mich, wie es möglich war, daß ich mich als Sexbesessene habe aufführen und daraus eine solche Glückseligkeit habe schöpfen können. Ich bin zur Zeit nicht sonderlich fordernd Sydney gegenüber, aber wir haben zuviel zu tun, als daß er es merken würde. Ich werde im Juli endgültig nach Frankreich zurückkehren, und er hat beschlossen, ein Sabbatical year zu beantragen, um mich zu begleiten. Wir werden eine Wohnung suchen, Loïc in einem Gymnasium anmelden, bevor wir dann alles, was sich in zehn Jahren angesammelt hat, verschiffen lassen; auch von unseren Freunden müssen wir uns verabschieden, und das ist in Amerika nicht ganz einfach. Wir sausen von Party zu Party, und diese wiederholten Abschiede machen uns allmählich depressiv.
    Aber es handelt sich um ein unvermeidliches Ritual denn in Amerika haben Freundschaft und Solidarität die in einem eher kulturlosen Land alle Mitglieder der Lehrerschaft verbinden, etwas von Freimaurerei. Fast sind wir wie Angehörige einer liebevollen, aber auch anspruchsvollen, empfindlichen, aber sehr konformistischen Großfamilie. Ich sehne mich allmählich nach dem französischen Individualismus, der Nachlässigkeit, der mangelnden staatsbürgerlichen Gesinnung, den internen Rivalitäten, die zu einer Art Kunst erhoben werden.
    Wirklich vermissen werde ich hier nur ein einziges Paar, Ellen Price und ihren Mann Alan, die beide an der Universität New York unterrichten. Sie vor allem, die so effizient, so pragmatisch ist und einen gesunden Geschäftssinn hat, den hier selbst die Intellektuellen nicht verachten. Hinzu kommt, daß Ellen von vollkommener, typisch amerikanischer Schönheit ist: Sie weist einen derartigen Mangel an Unvollkommenheit auf, daß man von einem Gefühl der Unwirklichkeit erfaßt wird. Sie ist blond und hat tiefblaue Augen, und man spürt, daß sie sich nur vom Besten, Gesündesten, Vitaminreichsten ernährt; sie ist bis ins Mark psychoanalysiert, gewohnt, Reichtum und Komfort als eine Selbstverständlichkeit und Kummer als eine Krankheit zu betrachten: das perfekte Produkt der US-Technologie! Seit zwei Jahren arbeitet sie an einem Buch über die sexuelle Genußfähigkeit der Frauen, das den schlichten Titel Orgasm tragen wird! Daß sie an der New York University unterrichtet, schützt sie vor jeglichem Verdacht der Pornographie, und dies wiederum hat ihr die Möglichkeit gegeben, mit dem Alibi der Women Studies unglaublich gewagte und erschütternd präzise Fragebögen an Tausende von Frauen jeden Alters zu verschicken, und für dieses Thema sogar ein Forschungsstipendium zu erhalten, was in Frankreich absolut undenkbar wäre. Das Wort »Orgasmus«, das 1965 bei uns noch schockierte, hat hier einen quasi wissenschaftlichen Klang. Da sie mich in ein »Problem« verstrickt sah ‒ alles hierzulande ist ein Problem und muß dementsprechend gelöst oder behandelt werden ‒, hat sie mir sofort die erste Fassung ihres Buches geschickt, überzeugt, sie würde mir dadurch helfen, mit Gauvain zur vollkommenen sexuellen Befriedigung zu gelangen.
    »Du mußt prüfen, ob in dieser Hinsicht alles okay ist«, sagt sie mir ernst und geht großzügig mit jenem amerikanischen Okay um, das alles und nichts bedeutet, das sowohl »ja, vielleicht« als auch »alles in Ordnung«, oder »das Wetter ist schön«, »laßt mich in Ruhe«, »mal sehen«, »bis demnächst einmal« aussagen kann. Sie sieht sich gern als die erste Erforscherin eines dunklen Kontinents, denn Kinsey hat sich ihrer Meinung nach für eine allzu statistische Vision der weiblichen Sexualität entschieden. Und was die männliche Sexualität betrifft, dies erklärte sie neulich anläßlich eines Kolloquiums vor ihren verblüfften Kollegen, so sei sie von einer derart rudimentären Einfachheit, daß sie es nicht verdiene, auf mehr als zehn Seiten abgehandelt zu werden!
    Ich hoffte, in ihrem Buch wenigstens die Antwort auf die Frage zu finden, die sich so viele Frauen stellen: »Ist mein Orgasmus ein wirklicher Orgasmus?«
    Aber wie soll man den Orgasmus überhaupt

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