Salz auf unserer Haut
wird es nahezu unvorstellbar, daß man einen Menschen so glühend hat begehren können.
Daß ich Gauvain so selten sah, kam daher, daß er sein geheimnisvolles Projekt schließlich doch verwirklichte. An die Seychellen hatte er sich nie gewöhnen können, deren allzu heitere Landschaften paßten nicht zu seiner ungezähmten Seele. Mittlerweile hat er für acht Monate im Jahr, von Oktober bis Mai, seine Zelte über einer Untiefe aufgeschlagen, fünfhundert Meilen vom Kap der Guten Hoffnung entfernt. Es ist kein Land, nicht einmal eine Insel, einfach nur ein abstrakter Punkt an der Kreuzung zwischen 31° 40 südlicher Breite und 8° 18 östlicher Länge, drei Tage Fahrt vom nächstgelegenen Festland, ein Ort mächtiger Dünung und schlimmster Verlassenheit. Seine Welt beschränkt sich auf ein Unterwasserriff von sechs Meilen Breite, ein schmales vulkanisches Plateau, das urplötzlich weniger als hundert Meter unter der Oberfläche aus fünftausend Metern Tiefe emporragt und mit Millionen von Langusten bevölkert ist. Damit ich mir vorstellen kann, wo er sich aufhält, hat er mir vor seiner Abreise auf einer Seekarte sein Schiff eingezeichnet, die Empire des Mers, einen achtundzwanzig Meter langen ehemaligen Thunfischtrawler: ein lächerliches, verlorenes Lebenszeichen in all dem Blau, aus dem sich nicht das geringste Stückchen Land erhebt. Sein Cousin Youn war es gewesen, einer jener seit Generationen auf Langusten spezialisierten Fischer aus Douarnenez, der dieses märchenhafte Vorkommen ein paar Jahre zuvor entdeckt und der beschlossen hatte, dort zu fischen, das heißt, dort zu leben. Aber ein schwerer Schädelbruch infolge eines Sturzes an Bord, von dem er sich nie ganz erholen sollte, hatte ihn daran gehindert weiterzumachen und ihn gezwungen, einem Piraten seines Schlages die Nachfolge anzubieten, auf daß er diese Goldmine weiter ausbeute. Wenige Männer hätten dieses Angebot angenommen, aber Lozerech war noch nie vor dem Unmöglichen zurückgeschreckt. Er sah da eine Gelegenheit, die heftigen Gefühle seiner Jugend noch einmal nachzuvollziehen und seine Seemannskarriere in Schönheit zu beenden. Vielleicht auch, zwischen ihm und mir ein zusätzliches Hindernis aufzubauen. Da sein Gefühl nicht schwächer wurde, beschloß er, die Distanz zu vergrößern. Denn er hatte inzwischen noch einen neuen Grund zur Selbstbestrafung: Marie-Josée, seine Frau, war an Krebs operiert worden. Man hatte ihr »alles rausgeschnitten«, wie sie nicht ohne Provokation sagte; vermutlich bemerkte sie mit einer gewissen Verbitterung, daß dieser Ausdruck sie auf die Gebärmutter reduzierte, die sie einmal besessen hatte. Was aber von ihr übrigblieb, war immer noch die Ehefrau von Lozerech, und daraus entstand für ihn ein verstärktes Schuldgefühl. Was mich anging, so war mein Buch über Die Medizin und die Frauen nun endlich erschienen. Wir hatten drei Jahre gebraucht, François und ich, um es neben unseren anderen Aktivitäten zu schreiben, drei Jahre intensiver Arbeit, und sie ließen uns in einem merkwürdigen Gefühl der Leere zurück. Einige Zeit haben wir es auf das ungewohnte Freizeitgefühl geschoben, mit dem wir nichts Rechtes anzufangen wußten, und dann drängte sich uns allmählich die Einsicht auf: Nicht die Arbeit fehlte uns, sondern die fast tägliche Gegenwart des Gefährten, der Gefährtin, die wir in diesen Jahren füreinander gewesen waren. Es schien nur eine Lösung zu geben: zusammen unter einem Dach zu leben! Dies wurde denkbar, da François inzwischen allein war. Luce, seine Frau, war gestorben und hatte ihm eine fünfzehnjährige Tochter zurückgelassen. Er erschien mir ziemlich hilflos zwischen den vielen Geburten in seiner Klinik, den Vorlesungen, die er hielt, dieser Halbwüchsigen, die es zu erziehen galt, und dem Kummer, eine bemerkenswerte Frau verloren zu haben, die er sehr, sehr geliebt hatte.
Es kann ein köstliches Abenteuer sein, sich aus zärtlicher Zuneigung zusammenzutun, wenn man schon die Erfahrung einer »Ehe fürs Leben« und einer sogenannten körperlichen Leidenschaft gemacht hat. In diesem Stadium des Lebens ist die Liebe natürlich alles, zugleich aber ist sie nicht mehr alles! Diese absurde Formel trifft ziemlich genau die Mischung aus Begeisterung und Leichtsinn, die bei unserem Entschluß zu heiraten Pate stand.
Ich hatte nicht das Gefühl, einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen oder ein übermäßiges Risiko einzugehen: In gewisser Weise hatte François schon immer zur Familie
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