Salz auf unserer Haut
französischen Autoren, meine vertrauten Zeitungen ‒ auch die allerschlimmsten ‒ wiedergefunden, die mir erzählen, welche unglücklichen Abenteuer der Fernsehcharmeur Guy Lux zu bestehen hat, wie sich Joseph Kessel für die Académie erstmals den Degen umschnallt, wie die Affäre Naessens ausgeht, oder wie es um Bettina steht, lauter typisch französischer Klatsch, der in meinen Augen viel aufregender ist als die Scheidung einer Lana Turner, die Gewichtsprobleme eines Elvis Presley oder die angeblichen Unterweltkontakte eines Frank Sinatra. Fast finde ich manchmal, daß Sydney aussieht wie ein texanischer Bauer!
Das ist natürlich pure Böswilligkeit meinerseits, zumal Sydney sich mit Hochgenuß in sein Lieblingsthema gestürzt hat, den französischen Nouveau roman, dem er lediglich vorwirft, sich überhaupt noch »Roman« zu nennen. Endlich befindet er sich an der Wiege dieses literarischen Genres, das seiner Meinung nach alle anderen überholt erscheinen läßt. Tief atmet er den Duft des Nouveau roman ein und entdeckt die Autoren als Personen, als fröhliche Kumpane oder langweilige Theoretiker wie du und ich, die kein besonderes Merkmal und keine spezielle Kleidung tragen. Ich habe den Verdacht, daß er enttäuscht ist. Aber er wird das ganze Jahr dem Buch widmen können, das er seit zwei Jahren plant. Es wird seiner Vorbilder würdig sein, denn er hat vor, ihm von vornherein jeglichen Funken Leben zu entziehen, der es mit einem romanhaften Werk in Verbindung zu bringen droht.
Seit mehreren Jahren schon hatte er sich, dank der Rückendeckung, die ihm amerikanische Hochschulkollegen gewährten, in den gemütlichen Kokon der Verachtung für sogenannte Erfolgsliteratur zurückgezogen. Gnade fanden in seinen und in ihren Augen nur die Autoren, deren Verkaufszahlen verschwindend gering waren und die beim Lesen abgrundtiefe Langeweile hervorriefen; Höhepunkt war ein unlängst erschienener »strukturalistischer« Roman, dessen Held zur Sicherheit auch gleich »La Structure« hieß, und den Sydney nun als Vorbild wählt. Ich habe mich absolut willig an die Lektüre gemacht, aber je weiter ich las, desto mehr wurde es verbissener Wille, es durchzustehen. Das Wörtchen »Ende« erreichte ich nur dank einem allerletzten Aufbäumen dieser Durchhalteenergie. Liegt es am unmittelbaren Einfluß von Gauvain? Es gelingt mir nicht mehr, an Sydneys Aufrichtigkeit und Spontaneität zu glauben, wenn er die Kargheit seines Romans zu rechtfertigen versucht, seine Trockenheit und das Fehlen jeglicher psychologisch nachvollziehbaren Figur oder Handlung, wenn er von seinem Streben spricht, sich der Strenge der reinen Literatur hinzugeben: Ich sehe nur mehr tödliche Eintönigkeit. Die Alternative wäre, mich selbst als unbedarft zu betrachten, oder aber Sydney und seine Mannen als Witzbolde ‒ allerdings als extrem ernsthafte Witzbolde. Meine eher spärliche Begeisterung verziehen sie mir übrigens. Schließlich bin ich ja nur eine Historikerin. In jenem Sommer leisten wir uns nur vierzehn Tage Urlaub bei Frédérique in der Bretagne, und auch der ist geistiger Arbeit gewidmet. Ich bereite die Vorlesung vor, die ich an der Universität Paris VII im Herbst halten soll, und arbeite an dem Buch, das ein wissenschaftlicher Verlag mir in Auftrag gegeben hat und für das meine Dissertation Die Frauen und die Revolutionen die Grundlage bildet.
Wenn ich in Raguenès gelegentlich Gauvain begegne, tauschen wir nur ein paar höfliche Sätze aus. Aber unsere Blicke beruhigen uns: Ja doch, wir sind die beiden, die sich anderswo, zu einer anderen Zeit so schön umschlingen können; wir sind die beiden, die den ganzen vergangenen Winter über einen Briefwechsel geführt haben, in dem die Höflichkeit nicht eben die hervorstechendste Qualität war. Denn wir haben uns tatsächlich weiterhin geschrieben: Er schickte mir aus Pointe-Noire seine täglichen Notizen, die er gebündelt alle vierzehn Tage oder drei Wochen in einen Umschlag steckte, wenn sein Schiff den Hafen anlief, um sich mit Lebensmitteln und Treibstoff zu versorgen und den Fisch auszuladen. Meine Briefe schickte ich postlagernd, und sie waren nie ganz auf seine abgestimmt. Der Kormoran blieb auf Tauchstation, ich kam mir vor, als stocherte ich mit dem Füllhalter vergeblich im blauen Ozean herum.
Tatsächlich bringt dieser Briefwechsel das Merkwürdige an unserer Beziehung nur noch deutlicher zum Vorschein. Gauvain hat keine sichtbaren Spuren in meinem Leben hinterlassen, und er
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