Salz auf unserer Haut
eines Tages muß man für alles büßen. Für ihn ist dieser Tag gekommen, und im übrigen ist Gauvain zum Büßen allzeit bereit. Also drückt ihn das Schicksal nieder, wie es das gerne tut mit Menschen, die sich seinen Schlägen aussetzen und die nicht davon ausgehen, daß sie auf das Glück einen Anspruch haben. Normal für Lozerech ist das Unglück.
Marie-Josée ist wieder in Larmor, aber sie muß noch wochenlang in einem Gipskorsett liegen. Joël ist außer Gefahr, aber er leidet an psychomotorischen Störungen und wird vermutlich nie wieder ein völlig normales Leben führen können. Marie-Josées Mutter ist zur Pflege der Tochter ins Haus gekommen, begleitet von ihrem blinden Ehemann. Das heißt, daß sie nie wieder ausziehen werden. Die Familie, die Bretagne, das feindselige Leben, sie haben engere Kreise um Gauvain geschlossen, sie drohen ihn vollends einzuschnüren, und meine Worte werden nicht mehr zu ihm durchdringen.
Nach vier Monaten Schweigen und am Vorabend seiner Abreise nach Afrika hat er mir einen kurzen Brief geschickt, in dem er mich um Entschuldigung dafür bittet, daß er zum Egoismus unfähig sei. Der Anblick seiner braven, aufgeräumten Schrift auf dem grauen Umschlag aus schlechtem Papier hat mich stärker angerührt, als ich es wollte. »Karedig, ich möchte, daß Du weißt, daß Du das Beste bist, was es in meinem Leben gegeben hat«, schrieb er auf dem üblichen karierten, kleinformatigen Papier, jenem Papier, das man in den Krämerläden zu kaufen bekommt. »Bei jeder unserer Begegnungen dachte ich mir, daß sie für uns vielleicht das Ende unseres gemeinsamen Weges sein würde. Du kennst meinen verdammten Fatalismus. Aber das Leben hat mir auch nichts geschenkt. Manchmal denke ich an das, was hätte sein können, wenn die Vorurteile Deiner Familie und Deine Weigerung damals, mir zu vertrauen, uns nicht dahin geführt hätten, wo wir jetzt sind. Bewahre mir einen kleinen Platz in Deinem Herzen. Was mich betrifft: ›me ho Kar‹. Schau in Deinem bretonischen Wörterbuch nach. Und es wird immer so bleiben. Aber das Leben hat es nicht gewollt.«
Ich habe ihm nicht geantwortet, da er mir nicht einmal sagte, ob er postlagernde Briefe überhaupt noch abholen würde. Und ihn dazu anzustacheln, mich zu lieben, erschien mir fast als ein Verbrechen. Wie sollte ich von ihm eine Liebe verlangen, die ihn krank machte vor lauter schlechtem Gewissen, während sie mir einen zusätzlichen Grund zu leben lieferte? Im Lauf der Monate habe ich teilweise jene Gefühle, die ich eigentlich Gauvain vorbehielt, wieder auf Sydney konzentriert. Oft spart man sich das Beste seiner selbst auf für das Stückchen Abenteuer im Leben, obwohl man es nicht wahrhaben will. Wir haben gemeinsam an dem französischen Text seines Buches gearbeitet, das im Frühjahr beim Verlag Stock erscheint. Viel erwartet er sich nicht davon, außer gesteigertem Ansehen bei seinen Freunden und bei einigen Kritikern, die er bewundert. Zumindest versucht er, sich das einzureden. Ich meinerseits teile mich auf zwischen meiner neuen Arbeit und der Reakklimatisierung Loïcs in einem Land, das nicht mehr das seine ist. Man lebt nicht ungestraft zehn Jahre in Amerika in einem Alter, in dem der Geschmack sich bildet und das Lebensbild entsteht. Zum Glück hilft mir Jean-Christophe sehr. Mit seiner neuen Frau hat er zwei Töchter bekommen und ist insgeheim enttäuscht. Dadurch hat sein Sohn für ihn wieder an Interesse gewonnen. Unsere Treffen haben Loïc zum Anlaß und Mittelpunkt, sie verlaufen ohne Groll und ohne Bitterkeit, in jenem Zustand der liebevollen Gleichgültigkeit, den man lediglich mit einem Exehemann erleben kann. Mir wird bewußt, daß ich mich mittlerweile mit ihm verstehen könnte. Erst wenn man sich von einem Menschen nicht mehr beeindrucken läßt, kann man ihn gegebenenfalls manipulieren, und erst wenn man ihn nicht mehr liebt, wäre man endlich in der Lage, sich von ihm lieben zu lassen. Auch mit Sydney nähere ich mich allmählich schon diesen Zonen. Schwacher Wind, ruhige See. Aber ist denn mit fünfunddreißig Jahren die Ruhe schon der höchste Wert? Vielleicht, wenn ich mir das Ehepaar Ellen-Alan ansehe, die sich gerade scheiden lassen, sie mit Begeisterung und er in Verbitterung und im Ekel vor sich selbst. Oder auch das zärtlich liebende Paar François-Luce, über das unlängst das Unglück hereingebrochen ist, in Form eines winzigen Tumors in Luces linker Brust. Ja, ganz entschieden ja, wenn ich an Larmor denke und
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