Salz auf unserer Haut
definieren? Mit bewundernswerter Dreistigkeit schlägt Ellen vor: »Eine Riesenwoge, die in den Zehenspitzen beginnt.«
Donnerwetter! Meine Woge entsteht ganz schlicht und ergreifend in den sogenannten Schamteilen, Steiß mit inbegriffen; sie wächst und erreicht ihren Höhepunkt lediglich in dieser Zone und beraubt dabei die edlen Bereiche ihrer Vorrechte, sie zwingt das Hirn, nur noch an das Empfinden zu denken. Selbst wenn man mir den Busen streichelt ‒ eine Manipulation, die den »schändlichen« Prozeß automatisch in Gang setzt ‒, wirkt sich die Empfindung vor allem unten aus. »Down under«, wie man von Australien sagt. »Freu dich«, lautet Ellens Kommentar, »das beweist, daß du zu den sechzig Frauen von hundert gehörst, deren nipples erogen sind.«
Das Wort nipple hat nichts Erogenes. Allerdings sind Ausdrücke wie »Brustwarze« und selbst »Busenknospe« auch nicht viel besser, erinnern sie doch allzu deutlich an Stillvorgänge oder klingen Verblasen poetisch. Bei der Gelegenheit erfahre ich auch, daß die nipples von nur zehn bis fünfzehn Prozent der Männer empfänglich für erotische Stimulierung sind. Die Armen! Aber es gelingt ihr nicht, mir zu erklären, auf welchen Wegen diese Welle, die da vom Busen zu den Geschlechtsteilen hinunterschwappt, vorankommt. Über einen Nerv ‒ den Schamnerv natürlich? Entlang einer chinesischen Energielinie? Auf einer mentalen Bahn? Nun, ich würde ganz einfach sagen, daß in der Liebe alle Wege zum Bauch führen. Ein hübscher Ausdruck, meint Ellen.
Ihr Buch hat zumindest das Verdienst, mich über die »weibliche Ejakulation« aufgeklärt zu haben, deren verzückte Beschreibungen ich mit wachsendem Komplex bei Sade und Konsorten registrierte. »Sie entlud sich heftig… Diese unerschöpfliche Zisterne von Liebessäften, die sie vorrätig zu haben schien… Dreimal nacheinander überflutete sie die Rute des Marquis…«
Teufel! Waren wir etwa Entladungsbehinderte, ich und die paar Freundinnen, die ich gelegentlich befragt hatte? Mitnichten, beruhigte mich die Autorin. Umfragen beweisen, daß das Phänomen nur bei ganz wenigen Frauen und nur ab und zu beobachtet werden konnte. Uff!
»Keine Drüse dieser Zone, außer in Extremfällen die Skeneschen Gänge, könnte eine nennenswerte Menge Flüssigkeit absondern«, erklärt Ellen entschieden ‒ sie analysiert die Scheiden der Frauen wie ein Geograph die Ressourcen des Wolgabeckens. Noch eine Sorge hatte ich: Was ist mit der drei Zoll großen Klitoris, die von manchen Erotikautoren und einigen Ethnologen beschrieben wird? »Männerphantasien«, bestätigt Ellen, »und krasse Unwissenheit bezüglich der weiblichen Anatomie und der Mechanismen der Inturgeszenz.«
Ellens Arbeit bringt jedoch keinerlei Erklärung für die »Inturgeszenz« des Herzens, und ihr Buch hat mehr Ähnlichkeit mit einer Sammlung von Kochrezepten oder einem Handbuch für den perfekten Heimwerker als mit einer philosophischen Untersuchung zum Thema Lust. Ich wage es nicht, sie darauf hinzuweisen, daß Cowper Powys oder Wilhelm Reich den Lustgewinn, alle Formen des Lustgewinns, erklären und gleichzeitig hoch bewerten, ohne, wie sie, in einen Stachanowismus der Sexualität zu verfallen.
»Wieviel Orgasmen hast du zum Beispiel gezählt in der Woche mit Lozerech?« fragt sie mich nach meiner Rückkehr, in der festen Annahme, daß ich Buch geführt habe.
Sie betrachtet mich mit einer Spur Mitleid, als ich ihr antworte, daß meine Aufzeichnungen unpräzise sind und daß ich manchmal den langen Slalom ebenso schätze wie den Zieldurchgang selbst. Diese Streckenführung, die einen nie voraussehen läßt, wie sie verläuft, bis sie einen bebend, lechzend oder aufs äußerste erregt zum letzten Tor führt, macht den unschätzbaren Wert des Orgasmus aus und auch den ganzen Unterschied zur Selbstbefriedigung, die man immer erreicht, mit minimalem Aufwand, mit zwei, drei uneingestehbaren Phantasien aus der Mottenkiste. Vermutlich muß man daraus schließen, daß die Lust keine beschreibbare Form hat ‒ eine Rose ist nicht eine Rose ist nicht eine Rose. Und das ist sehr erfreulich, ob es Ellen paßt oder nicht.
Es ist immer gefährlich, einen Liebhaber zu verpflanzen, wenn er nicht mehr ganz taufrisch ist. In Frankreich sehe ich Sydney plötzlich anders. In den Staaten war er mit Loïc der wesentliche Bestandteil meines Lebens, dort drüben hielt er mich warm. Hier habe ich meine Familie, meine Jugend- und sonstigen Freunde, meine geliebten
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