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Salz auf unserer Haut

Salz auf unserer Haut

Titel: Salz auf unserer Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benoîte Groult
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Fernsehantenne, in dem dieses Naturvolk übernachtet, wenn es nicht mehr so tun muß, als bewohnte es seine Seminolenhütten. Für den letzten Abend hat Gauvain beschlossen, ein wenig von dem von Lozerech verdienten Geld auszugeben: Er hat einen Tisch bestellt in einem Luxusrestaurant. Aber der böse Zauber von Walt Disney verfolgt sie: Diesmal sind nicht die großen und kleinen Kinder, sondern die Greise allgegenwärtig. Gauvain und George sind die einzigen, die sich nicht mit Stöcken oder Krücken fortbewegen, die nicht Zitterhände oder ein Zitterkinn aufweisen; als einzige zeigen sie Zähne, deren Ungleichmäßigkeit für ihre Echtheit bürgt. Sie stellt sich all diese verkümmerten Kiebitze in den Fünfhundert-DollarHosen vor, all diese öden und verlassenen Mösen. Sie hat Mitleid mit den knorrigen Händen, den abgeschabten Ellbogen, dem Schorf auf den Glatzen der Männer, deren vereinzelte farblose Borsten den Namen Haar nicht mehr verdienen, oder den unregelmäßigen Flecken auf den Wangen all dieser betagten Blondinen. Gauvains unverschämte Kraft kommt ihr plötzlich wie ein Rettungsanker vor, an den sie sich festklammern kann inmitten dieser dem Untergang geweihten Wesen, und das, was er in seiner Dreihundertneunundneunzig-Franc-Hose verbirgt, erscheint ihr als das einzige Gegengift gegen den Tod.
Auf der Bühne hampeln »typische Tänzer« herum, ihre arrogante schwarze Haut scheint vor den Angriffen der Zeit geschützt, und ihre Anmut und Gelenkigkeit müssen auf diejenigen, deren Bewegungen jeden Tag matter werden, herzzerreißend wirken. »Eines muß man doch sagen«, läßt Gauvain verlauten, »die Schwarzen (nein, Hilfe, er wird es doch nicht sagen!) haben ein Gefühl für Rhythmus. Sie haben den Rhythmus im Blut.«
Die Anstandsdame grinst. Ach, die gibt's auch noch! Die hatte sich lange nicht mehr gemeldet. In Disneyland hatte sie keinen Mucks getan. Die Ereignisse arbeiteten für sie. Siehst du, zwölf Tage, das ist schon zuviel, sagt sie. Man versteht sich gut, aber dann bricht alles schnell auseinander, weil es sich aufs Bumsen reduziert. ‒ Hör auf, vom Bumsen zu reden. Du bist nichts als eine ranzig gewordene alte Jungfer, die nie etwas Außergewöhnliches empfunden hat, und du hast überhaupt keine Ahnung, was Poesie ist. ‒ Mein armes Mädchen, sagt die Anstandsdame, sobald man dich nur an der richtigen Stelle kitzelt, fängt deine Scheide Feuer, und du singst das Magnifikat. Dabei handelt es sich nur um eine ganz leichte Absonderung deiner Drüsen, meine Liebe, um eine schlichte Erregung der Lustkörperchen.
Vorerst sind es ihre Geschmackspapillen, die sich erregen, aber der Genuß von köstlichen Rockefeller-Austern hindert Gauvain nicht daran, sich nun seinerseits von den Schrecken des Alterns überwältigen zu lassen.
»Stell dir vor, in ein paar Jahren bin ich auch reif für die Rente! Sobald ich in der siebzehnten oder achtzehnten Stufe bin, habe ich genügend Beitragsjahre beisammen dann hör' ich auf. Zum Leben müßte es dann eigentlich reichen, wenn wir's auch nie so dick wie die da haben werden.«
»Aber wie wirst du es denn ertragen, das ganze Jahr zu Hause zu bleiben? Ich kann mir dich ohne deine Galeere nicht vorstellen.«
»Stimmt, was das Zuhausebleiben betrifft, das hab' ich noch nie gemacht. Ich werd' mir auf jeden Fall ein Boot zulegen. Da kann ich immer noch an der Küste entlangtuckern. Ich könnt' mich unmöglich nur um einen Gemüsegarten kümmern.«
Für die meisten Seeleute bedeutet das Land gähnende Langeweile. Sie, die auf dem Meer an der Farbe des Wassers erkennen können, wo sie sind, weigern sich, in einem Garten eine Pfingstrose von einer Anemone zu unterscheiden.
»Aber bevor es soweit ist, habe ich noch einen Plan«, fährt er fort, während er sein T-Bone-Steak in kleine mundgerechte Stückchen zerlegt. »Das muß ich dir erzählen. Eine Wahnsinnsgeschichte.«
»Was denn? Willst du etwa mit der Fischerei aufhören?«
»Du hast sie nicht alle! Das könnt' ich ja gar nicht, wegen der Beitragsjahre für die Rente. Es tät' nicht reichen. Und außerdem tät' mir das Herz bluten, wenn ich mein Bündel vorzeitig an Land setzen würde. Nein, das ist ein Ding, von dem mir mein Cousin aus Douarnenez erzählt hat, du weißt schon, Marcel Le Louarn. Da gibt's angeblich viel Geld zu verdienen. Und mit Joël, der nie wird arbeiten können, haben wir's nötig.«
Er zögert. Er blickt vor sich hin und redet dann weiter, ohne George anzusehen, indem er sein Brot auf

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