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Salz auf unserer Haut

Salz auf unserer Haut

Titel: Salz auf unserer Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benoîte Groult
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in allen möglichen giftigen Farben auf ihre Blousons tropfen lassen. Wenn man jedoch einmal in dem Räderwerk gefangen ist, kommt man beim besten Willen nicht wieder heraus. Die in Hunderterpackungen abgefertigten Besucher werden kanalisiert und nach einem unaufhaltsamen, unveränderlichen, auf die Minute ausgetüftelten Programm höflich, aber bestimmt durch die Einbahngassen geschoben, ein Entkommen gibt es nicht, die allgegenwärtige Stimme eines Big Brother erteilt Ratschläge, die Befehle sind, und führt die Menschenpakete zu Ruheplätzen, die für durchschnittliche Fußgänger kalkuliert sind, zu rest rooms, die für durchschnittliche Blasen ausgelegt sind, zu candy stores, die auch für die kurzsichtigsten Kinder von weitem erkennbar sind, so daß die Eltern nicht umhinkönnen, die Forderungen des Sprößlings zu erfüllen, der mit klebrigem Finger auf andere, schon zufriedengestellte, mit Schokolade und künstlichen Fruchtsäften beschmierte Sprößlinge zeigt und nach dem gleichen zuckersüßen Paradies verlangt.
    Unmöglich, sich dem Gespensterhaus oder der Piratenhöhle zu entziehen. Alles ist atemberaubend vor falscher Echtheit: ausgeplünderte Städte voller betrunkener Automaten, die den Besucher mit ihren Blasrohren bedrohen und obszöne, aber sorgfältig von anstößigen Versen gesäuberte Lieder singen, vor Schätzen nur so strotzende Höhlen, leichenblasse Schiffbrüchige, sich an Felsen festklammernde Gerippe, an denen noch ein paar Uniformfetzen hängen, Plastikalligatoren, die ihren Rachen aufreißen, wenn sich die Touristenwägelchen nähern… Eine beängstigende technische Perfektion im Dienst primitivster Gefühle. Nichts hat einen tieferen Sinn. Man fühlt sich von einer Szene zur anderen geschoben, und deren pedantische Präzision, die gehäuften Details und das Fehlen von Verschnaufpausen ersticken jeden aufkommenden Gedanken. Das ärgerliche ist, daß George offenbar als einzige den ganzen Zauber deprimierend findet! Die amerikanischen Eltern scheinen entzückt und werden nach Hause fahren mit dem Gefühl, alles über das Leben in Polynesien, über den Dschungel, über die Sternraketen zu wissen, mit der Gewißheit, den echten Nachfahren der karibischen Ureinwohner in die Augen geblickt zu haben. Niemand hier erinnert sie daran, daß die letzten Kariben, auf ihre letzte Insel verdrängt, beschlossen hatten, sich von einem Felsen herab ins Meer zu stürzen, um nicht unserer schönen abendländischen Zivilisation anheimzufallen.
    »Schau sie dir an… Dieses gute Gewissen… Diese Zufriedenheit, Amerikaner zu sein, die Besten, die Gerechtesten. Sie sind so stolz auf Disneyland, als hätten sie die Kathedrale von Chartres gebaut!«
    »Na und? Stört es dich, daß sie zufrieden sind? Du beschließt, daß die Leute blöd sind, sobald sie sich für etwas anderes interessieren als du«, stellt Gauvain fest, als hätte er gerade entdeckt, welche Kluft sie voneinander trennt. »Ich hab' noch nie so was gesehen, und ich finde es toll. Mir macht das Spaß, als ob ich ein kleiner Junge wär', der noch nix anderes gesehen hat als den Zoo von Guidel und den Zirkus Martinez, der früher jeden Sommer auf Tournee durch die bretonischen Strandbäder ging!«
    In der Tat, will George sagen, gesehen hast du noch nichts. Schlimmer noch, du hast noch nie etwas angeschaut. Aber sie hält sich zurück. Ganz Disneyland möchte sie ihm vorwerfen, all diese glückseligen Gesichter, die Kinderaugen, und auch den morgigen Tag, denn das Pauschalarrangement, das sie gebucht haben, bietet gleich sechsunddreißig Stunden des Eintauchens in diese Horrorwelt! Vorerst jedoch erwartet sie eines der zwölfhundert Zimmer des Contemporary World Resort. Gauvain wird es fabelhaft finden, weil eine Einschienenbahn durch das Hotel fährt, eine Art SchwebeMetro, die alle acht Minuten durch die Halle und den großen Salon gleitet, eine Ladung kindischer Familien transportierend, die sich mit dem gleichen Ernst amüsieren, mit dem man andernorts zur Arbeit geht. »Du mußt entschuldigen, aber es übersteigt meine Kräfte, morgen noch einmal in die Zauberwelt des Mr. Disney zurückzukehren. Allein der Gedanke, noch einmal Mickymaus zu sehen, bringt mich auf die Palme. Du wirst ohne mich viel mehr Spaß haben bei der Besichtigung des World Circus und des Marineland. Ich könnte wetten, sie haben den Pottwalen Mickymausohren aufgesetzt!«
    Zum erstenmal bemerkt Gauvain, daß George ekelhaft sein kann. Er ist ganz fassungslos und

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