Salz auf unserer Haut
versucht, sie zur Vernunft zu bringen; ein Unterfangen, das er besser nicht weiterverfolgen sollte.
»Du machst es dir ziemlich leicht, indem du die Leute verachtest, die anders sind als du. Du vergißt«, fügt er in belehrendem Ton hinzu, »daß es von jeder Sorte etwas geben muß auf dieser Welt.«
»Ach was?«
Gauvain beißt sich auf die Lippen. Ist das jetzt die bornierte Proletariermiene, die er aufsetzt, wenn ihn sein Reeder
demütigt und er es nicht wagt, zu kontern? Nun, dann ist es ausgemacht, morgen früh wird er die Besichtigung allein fortsetzen. Schließlich hat er sein Ticket bezahlt!
»Es wäre schade ums Geld, in der Tat.«
Er fragt sich, ob hinter dieser Bemerkung eine Bosheit steckt. Zum Geld haben sie nicht die gleiche Einstellung, und er weiß nie, wann George Spaß macht, das ist eines seiner Probleme.
An diesem Abend fühlen sie sich staubbedeckt und erschöpft. Disneyland ist extrem anstrengend, wenigstens über diesen Punkt sind sie sich einig. »Soll ich dir ein schönes warmes Bad einlassen?« fragt Gauvain ganz lieb, als sie endlich auf ihrem Zimmer sind.
»Nein, ein häßliches kaltes Bad wäre mir viel lieber.«
George kann sich die Antwort nicht verkneifen. »Warum bist du manchmal so giftig?«
»Du sagst manchmal solche Selbstverständlichkeiten… Das geht mir auf die Nerven.«
»Ich gehe dir insgesamt auf die Nerven. Glaubst du vielleicht, ich merke es nicht?«
»Wir gehen uns beide auf die Nerven, abwechselnd, das kann gar nicht anders sein. Außerdem war das ein ganz entsetzlich anstrengender Tag. Ich bin völlig k.o. heute abend.«
Sie sagt nicht, daß sie soeben auf ihrer Scham eine harte, schmerzende, murmelgroße Kugel festgestellt hat. Sie befürchtet einen Abszeß. Ach was, das ist deine Bartholinische Drüse, die schlechte Laune hat, erklärt die Anstandsdame, die überzeugt ist, daß sie Medizin studiert hat. Zuviel Verkehr, da gibt es automatisch Staus, Deine Bettgymnastikstunden sind ja schön und gut, aber irgendwann mußt du mal ein wenig bremsen, meine Liebe. Hast du übrigens deinen Mund gesehen? Man wird immer an der Stelle bestraft, wo man sündigt. Tatsächlich schmückt auch noch eine Herpesblase ihre Oberlippe und verleiht ihr allmählich ein lächerliches Kaninchenprofil. Walt Disney hat noch einmal zugeschlagen: Am letzten Tag mit Gauvain wird sie Ähnlichkeit mit Donald Duck haben. Diese Vorstellung macht sie noch gehässiger. Er ist beleidigt und zieht sich in jenen Krebspanzer zurück, mit dem er sich zuweilen umgeben kann. Zum erstenmal, seit sie sich kennen, fragen sie sich, was sie eigentlich voneinander wollen. Jeder möchte bei sich zu Hause sein, jeder in seiner Familie, in seinem Clan, mit Leuten zusammen, die die eigene Sprache sprechen und die gleichen Dinge mögen.
Als sie zu Bett gehen, holt George ein Buch aus ihrem Koffer, und Gauvain greift zu einem Krimi, den er wahllos am Flughafen gekauft hat; er wendet die Seiten, indem er den Zeigefinger befeuchtet oder indem er bläst, um die Seiten voneinander zu lösen. Auch das geht ihr auf die Nerven. Sehr langsam entziffert er den Text, und dabei geht sein Kopf von links nach rechts und zurück, um den Zeilen zu folgen, die Augenbrauen sind zusammengezogen, eine tiefe Furche hat sich auf seiner Stirn gebildet, als ob er ein chiffriertes Dokument vor sich hätte. Nach drei Seiten beginnt er zu gähnen, aber er kann nicht vor ihr einschlafen. Sobald sie das Licht ausmacht, robbt er vorsichtig an sie heran, bereit, sich beim ersten Zeichen von Ungeduld zurückzuziehen.
»Ich möchte dich einfach nur in den Armen halten… Darf ich?«
Sie drückt ihren Rücken an seinen Bauch zum Zeichen des Einverständnisses, und er umfaßt sie. Ein zärtliches Gefühl des Friedens stellt sich bei ihr ein, sobald sie sich im Sicherheitsgurt von Gauvains Armen befindet. Er versucht nicht zu mogeln, er rührt keinen Finger. Er hat sogar sein Überredungswerkzeug zwischen den Schenkeln versteckt, aus Feingefühl, und er begnügt sich damit, sie eng zu umschlingen. Von wegen Feingefühl, er müßte doch wissen, daß ihre Körper ganz von alleine Feuer fangen, daß simpler Hautkontakt genügt. Plötzlich dreht sich George zu ihm um, und auf der Stelle ist ihrer beider Verlangen übermächtig, nichts erscheint ihnen mehr wichtig, außer gemeinsam jenen Weg zu gehen, auf dem sie einander niemals enttäuschen.
Am letzten Tag bleiben ihnen noch die Everglades. Wenigstens ist es noch niemand gelungen, diese Tausende von
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