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Salz auf unserer Haut

Salz auf unserer Haut

Titel: Salz auf unserer Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benoîte Groult
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kommen, verlieren sie auch schon jeglichen Reiz, wie das bei den meisten Träumen der Fall ist, was auch immer die Träumer davon halten mögen. Ich werde von Panik erfaßt, wenn mich eine Freundin anruft und mir sagt, sie habe einen unglaublichen Traum gehabt in der vergangenen Nacht, sie müsse ihn mir unbedingt kurz schildern, und ich würde verblüfft sein. Das bedeutet mit Sicherheit, daß ein langatmiger Bericht voller unbedeutender Episoden und einschläfernder Beschreibungen auf mich zukommt, denen die Träumerin außergewöhnliche Bedeutung beimißt und die sie für absolut unentbehrlich hält zum Verständnis. »Es war bei mir zu Hause, und gleichzeitig erkannte ich überhaupt nichts… Du weißt schon, was ich meine«… oder »Ich flog durch die Luft über die Stadt, als ob es das Natürlichste von der Welt wäre, verstehst du? Und du kannst dir überhaupt nicht vorstellen, wie glücklich es mich machte…«
    Aber ja doch, natürlich versteht man, natürlich kann man sich vorstellen. Wir sind alle schon mal geflogen im Traum, wir haben alle schon mal unser Haus verlassen und haben drum herum eine fremde Stadt entdeckt. Außer in seltenen Ausnahmefällen ist das alles von ganz widerwärtiger Banalität, und meine Träume gehören zu den widerwärtigsten, die ich kenne: alltäglich, gewöhnlich, voller Details, die ich am Tag zuvor erlebt habe, so durchsichtig, daß sie den beschränktesten Psychoanalytiker langweilen würden. Ich habe Mühe zu verstehen, daß unterhalb meines relativ interessanten und ehrbaren Bewußten ein so mittelmäßiges Unbewußtes vor sich hin plätschert. Aber selbst die mittelmäßigsten Träume hinterlassen bei dem, den sie heimgesucht haben, eine Spur, einen Duft, der mehrere Tage braucht, bis er verfliegt. Jemand ist aus Zeit und Raum herausgetreten, um einem ein Zeichen zu geben, in jener Nacht hatte mich Gauvain in seine Arme geschlossen, und auch er, dessen war ich ganz sicher, hatte mich im Traum gesehen. Von der Erinnerung an ihn noch ganz betrübt, habe ich ihm einen zärtlicheren Brief als sonst geschrieben, den ich später bereut habe. Denn ich wußte, daß dieser Brief nicht so sehr an ihn als an das nahende Alter gerichtet war, an die Besessenheit zu leben, und an die Wut, eines Tages nicht mehr zu leben, an die versäumten Gelegenheiten und an die Lust, mit einem Mann zu schlafen, vielleicht auch ganz einfach an die Lust, »Ich liebe dich« zu schreiben. Sydney sagte ich damals schon nicht mehr »Ich liebe dich«. Ich weiß, was das alles bedeutet, aber ich weiß auch, daß Gauvain es für bare Münze nehmen könnte, denn er nimmt sich nicht genügend in acht vor den Damen, deren Beruf es ist, Geschichten zu schreiben, und vor den Damen, die die wahnsinnige Liebe vermissen und die träumen.
    Ich sehe ihn wenig und nicht gerade unter den besten Voraussetzungen, meinen Kormoran, in diesen letzten Jahren. Wenn er von Dakar zurückkommt, kann ich ihn nicht einmal in Orly abholen, weil er mit seiner ganzen Mannschaft unterwegs ist; außerdem ist er der Meinung, daß er unter keinen Umständen zwei Tage länger in Paris bleiben kann, da die andern noch am selben Abend nach Lorient weiterfahren und von ihren Frauen in Lann-Bihoué erwartet werden. Und er behauptet, es gebe absolut keine Lüge, die er Marie-Josée glaubhaft erzählen könnte. Darüber empfinde ich einen gewissen Groll. Es gelingt uns hin und wieder mal, gemeinsam zu Mittag zu essen, manchmal ermogeln wir uns einen Nachmittag. Im Restaurant jedoch treffe ich nicht Gauvain, sondern Lozerech, mit seiner Kapitänsmütze, seinen ewigen Blousons, vorne kariert, hinten uni (nur die Touristen tragen blaue Seemannsjacken), und jedesmal, wenn sich unsere Körper nicht berühren können, fällt mir auf, wie ungelenk wir miteinander umgehen.
    Ich erzähle ihm von meinen Reisen und gewöhne mich noch immer nicht daran, daß er Napoli und Tripoli, den Ätna und den Fudschijama verwechselt. Er holt aus seiner Brieftasche die Photos aus Afrika, auf die er so stolz ist: »Siehst du, das ist mein Auto, da, halb verdeckt hinter einem Lastwagen.«
    Oder Hinteransichten von Trawlern zwischen Kränen, irgendwo im hintersten Teil eines Hafens. Oder der Eingang zu einem Tanzlokal irgendwo im Senegal, mit drei unscharfen Gestalten: »Der da, das ist Job, von dem ich dir erzählt habe. Die beiden anderen kennst du nicht.«
    Und der Justizpalast von Dakar an einem Regentag. Ein wenig reden wir über Politik, so lange, bis er einige

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