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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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stillschweigendes Tabu gebrochen. Immerhin hatte er, auch das fiel ihm nun wieder ein, immerhin hatte er einen Teil seines forsch erteilten Auftrags schnell zurückgenommen:
    »Zu allen, die du für wichtig hältst«, das war doch sicher in Odinas Sinn gewesen, »wo immer sie liegen mögen«.
    Der Junge hatte gelächelt, genickt. Erst jetzt, Monate später, begriff Kaufner die Szene, begriff sie in ihrer ganzen Abgründigkeit. Ohne weitere Worte zu wechseln, waren sie losgezogen, an Gräbern hatte es im Gebirge nicht gemangelt. In keinem der Gebirge, die sie durchstreift. Natürlich hatte Kaufner nie mit dem Jungen darüber gesprochen, welches Grab er suchte und warum. Hatte mit niemandem darüber gesprochen. Trotzdem mußte der Junge geahnt haben, ach was, er hatte ganz genau gewußt, um welches Grab es Kaufner ging. Und gerade deshalb alles darangesetzt, nicht hierher, in den Turkestanrücken, zu geraten, wo es höchstwahrscheinlich lag. Vielleicht war auch ihm der Weg dorthin verboten, wer weiß, sonst hätte Januzak sicher anders reagiert. Dies Grab war ja wohl das bestgehütete Versteck in der gesamten islamischen Welt, wenn man den Informationen von Kaufners Führungsoffizier Glauben schenken durfte. Die letzten Hoffnungen des Westens hingen daran, es zu finden. Wahrscheinlich war der Kirgise gar kein Paßgänger, sondern, im Gegenteil, gehörte zu denjenigen, die das Grab bewachten?
    Ruhig, Kaufner, ruhig. Und eins nach dem andern.
    Odina mochte vielleicht ahnen, was Kaufner suchte. Aber
warum
er es tat und was er zu tun gedachte, sobald er es gefunden, das konnte der Junge nicht wissen. Oder doch? Was wußte so einer überhaupt? Ein dahergelaufener Tadschikenjunge aus dem Pamir, der jede Arbeit annahm, um seine Familie zu ernähren. Ein verläßlicher Gefährte, gewiß, selbst im Blankeis und mitten im Fluß. Das mußte man ihm lassen. Einer, der besser Russisch konnte als Kaufner, obwohl der’s in der Schule gelernt hatte und der Junge sicher nicht. Mußte man ihm gleichfalls lassen. Und dann hatte er auch noch diesen Blick, diesen Odina-Blick mit großen braunen Augen, dem man nichts Böses zutrauen konnte. Bis heute. Nicht mal sein eignes Geburtsjahr wußte er, was wollte so einer schon wissen? Wie einfältig er im Hamam gestanden und sich gedehnt hatte, im … Wann genau war das gewesen?

    Irgendwann während der Neujahrsnacht 26 / 27 war es auch im Hamburger Schanzenviertel richtig losgegangen. Zunächst mit ein paar Mitternachtsraketen der Mutigsten, die es gewagt hatten, die Ausgangssperre zu mißachten. Bald mit den Schwarzvermummten, die von überall her zusammengeströmt waren, mit Sprechchören und aufmarschierenden Polizeibataillons, eine Weile hätte man es fast für eine Demonstration halten können, wie man sie noch von den Anfangstagen des Krieges kannte. Kaufner hatte von seinem Balkon aus zusehen können, wie da und dort auf der Straße Feuer entfacht und Bier getrunken wurde, als handele es sich lediglich um ein ungenehmigtes Straßenfest, wie dann aber immer öfter mit Flaschen geworfen und die Polizei verhöhnt wurde. Gegen Morgen hatten die Schwarzvermummten plötzlich das Feuer eröffnet. Und gleich mit schweren Waffen, hatten mit Panzerfäusten der Reihe nach die Mannschaftswagen der Polizei in die Luft gejagt, wie’s normale Demonstranten nie vermocht hätten. Tagelang hatte Kaufner seine Wohnung nicht mehr verlassen können, bis Straßenzug um Straßenzug von der Obrigkeit zurückerobert worden. Als schließlich das gesamte Schanzenviertel in Flammen gestanden und auch er zwangsevakuiert worden war, da, ja, da erst hatte er sich endgültig entschlossen. Und schon im April desselben Jahres, ja, im April ’ 27 bist du hier angekommen. Den ersten Sommer über hast du geglaubt, du würdest es ohne schaffen. Ging aber nicht ohne. Im Winter hast du dann jemanden gesucht, der mit dir geht, und im Januar, war’s im Januar? Ja, kommt hin, vor einem Dreivierteljahr.
    Da war Odina also erst siebzehn oder achtzehn gewesen, ein Knabe. Wie ein Strichjunge stand er unter all den andern, nackt, und machte seine Dehnübungen, so arglos, daß es geradezu ekelhaft war. Wenn Talib nicht seine Massage unterbrochen, wenn er nicht zu Kaufner gekommen und gemeint hätte, der sei genau der Richtige für ihn, nach so einem hätte er sich doch erkundigt, Kaufner hätte den Jungen niemals angesprochen. Und dann servierte Talib auch gleich noch Tee, ein vierschrötiger Riese, permanent verkatert und

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