Dämonisches Tattoo
Alexandria – Vorort von Washington D. C.
Es war leicht gewesen, ins Haus zu gelangen.
Wenn man bedachte, wer hier wohnte, war das beinahe eine Enttäuschung. Von einem Mann wie Frank Cassell hatte er mehr erwartet. Doch alles, was Cassell zu bieten hatte, waren eine verriegelte Vorder- und Hintertür und ein paar Bolzen, die die Fenster im Erdgeschoss sicherten. Nichts, was einen entschlossenen Eindringling abhalten konnte – schon gar nicht, wenn das Schlafzimmerfenster im ersten Stock offen stand. Er hatte lediglich über das Geländer auf das Vordach der Veranda klettern und durch das offene Fenster steigen müssen.
Cassell war nicht dumm, aber sichtlich arrogant genug, um sich in Sicherheit zu wähnen. Damit war heute Nacht Schluss. Künftig würde es keinen Ort mehr geben, an dem Cassell sich noch sicher fühlen konnte.
Ein dicker weißer Teppich dämpfte seine Schritte, als er den Raum durchquerte. Lächelnd nahm er den mannshohen Standspiegel hinter der Tür wahr, in dem sich seine Silhouette vor dem Mondlicht abzeichnete. Das war perfekt! Er liebte es, sich bei der Arbeit zu beobachten.
Am Fußende des Bettes angekommen stellte er seine Tasche auf dem Boden ab und zog seine Latex-Handschuhe zurecht. Die Frau schlief, und wie so oft während der letzten Monate war der Platz neben ihr verlassen. Ihr Mann verbrachte einmal mehr die Nacht im Büro, trank literweise wässrigen Kaffee und studierte Zeugenaussagen, Obduktionsberichte und Fotos der Tatorte und Leichen, nicht ahnend, dass der, nach dem er suchte, in seinem Schlafzimmer stand.
Für einen Moment dachte er daran, auf die Betäubung zu verzichten, doch ihm war bewusst, dass sie aufwachen würde, sobald er mit seiner Arbeit begann. Sie würde schreien, und wenn er etwas nicht ausstehen konnte, dann das. Es störte ihn in seiner Konzentration und ließ ihn nachlässig werden. Er hasste schlampige Arbeit.
Entschlossen bückte er sich nach seiner Sporttasche, zog den Reißverschluss auf und öffnete das Lederetui, das gleich zuoberst lag. Cassells Frau würde ihm gehören, so wie all die anderen davor. Er war es, der über ihr Leben und ihren Tod bestimmte, und sie konnten nichts weiter tun, als ihm dabei die Aufmerksamkeit zu schenken, die ihm gebührte.
Er zog eine Spritze auf und bereitete die chirurgische Nadel und den Faden vor. Die ersten Male hatte er Sekundenkleber benutzt, damit es schneller ging, doch er hatte es gehasst, denn es war nichts anderes als Stümperei. Wie Fast Food für einen Gourmet.
Im Laufe der Zeit war er sicherer geworden und hatte gelernt, sein Werk in vollen Zügen auszukosten.
Nur um den Teppich war es schade.
Prolog
Als Special Agent Chase Ryan in die Jefferson Lane in Alexandria einbog, war der Polizeiapparat bereits voll angelaufen. Streifenwagen der D. C. Metro Police blockierten mit eingeschalteten Blaulichtern die Straße und hinderten die Fernsehteams daran, mit ihren Minivans näher heranzufahren. Das Grundstück und ein Teil des Bürgersteigs waren mit gelbem Absperrband abgeriegelt, dahinter stand ein Notarztwagen in der Garageneinfahrt. Vor dem weißen Jägerzaun parkte das Auto des Gerichtsmediziners und erstickte den Anflug von Hoffnung im Keim, den Chase beim Anblick des Krankenwagens verspürt hatte. Hier gab es für den Notarzt nichts mehr zu tun.
Chase parkte seinen Sebring neben einem der Streifenwagen und stellte den Motor ab. Er lehnte sich im Sitz zurück, schloss die Augen und versuchte sich darauf vorzubereiten, was ihn im Haus erwarten würde. Doch ganz gleich, wie lange er hier sitzen bliebe, eines war klar: Es würde nicht leichter werden. Nichtsdestotrotz – es war ein Tatort wie jeder andere. Er atmete einmal tief durch, zog den Schlüssel aus dem Zündschloss und stieg aus.
Sein Atem dampfte in der kalten Februarluft. Der eisige Ostwind fuhr unter die Aufschläge seines Sakkos und ließ ihn frösteln, trotzdem machte er sich nicht die Mühe, seinen Mantel von der Rücksitzbank zu nehmen. Der Mantel würde die Kälte nicht vertreiben, die sich beim Anblick des Hauses zunehmend in ihm ausbreitete.
Chase ging an den Streifenwagen vorbei auf das Haus zu. Ein Stück außerhalb der Absperrung hatten sich die Fernsehteams mit ihren Kameras, Mikrofonen und Diktiergeräten um Lieutenant Murphy, den Leiter der Mordkommission, geschart und bombardierten ihn mit Fragen. Die meisten davon kannte Chase in- und auswendig. Reporter platzten nicht gerade vor Erfindungsreichtum, wenn es um Fragen
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