Samurai 3: Der Weg des Drachen
handelt von der Liebe«, erklärte er.
»›Sie hat vielleicht nur ein Auge,
dafür aber ein sehr schönes‹,
sagt der Vermittler.« [9]
Die Schüler lachten. Auch Jack musste über die witzigen Verse des Freundes schmunzeln, während Akiko peinlich berührt die Augen verdrehte. Sensei Nakamura sorgte mit einem ungnädigen Blick für Ruhe.
»Das war ein unwürdiger Beitrag«, schimpfte sie. Das Lächeln auf Saburos Gesicht erlosch.
»Sensei«, fiel Saigyo ihr freundlich ins Wort, »die Verse sind vielleicht etwas grob, dafür ist unser junger Dichter hier gewiss originell. Sein Gedicht erheiterte mich. Wie eine Pflanze Sonne und Regen braucht, so braucht ein Dichter Lachen genauso wie Tränen.«
Sensei Nakamura neigte den Kopf. Saburo kehrte an seinen Platz neben Jack zurück.
»Das wirst du mindestens zweitausendmal abschreiben!«, zischte Akiko über die Schulter.
Saburo grinste, als kümmere ihn das nicht.
Jack zwinkerte ihm zu. »Ich fand es toll.«
Die nächsten Beiträge waren weniger originell und einmal glaubte Jack schon, der alte Dichter sei eingenickt. Dann trat Yori vor ihn. Nervös strich er das Blatt in seinen Händen glatt und las so leise, dass sogar Saigyo sich vorbeugen musste, um ihn zu verstehen:
»Am Fuß des Baumes sitzend
betrachtet ein alter Frosch die Gesichter,
die in den Wolken versteckt sind.«
Die Miene des Dichters hellte sich schlagartig auf, als sei die Morgendämmerung angebrochen, und seine schläfrigen Augen blickten auf einmal hellwach. »Es hat sich wirklich gelohnt, auf dieses Haiku zu warten! Ich dichte am liebsten über Frösche!«
Yori verbeugte sich. »Ich habe immer Ihr Haiku über den Frosch bewundert, der in den alten Teich hüpft«, murmelte er verschämt. »Ich wollte auch so ein Haiku schreiben.«
»Das ist dir gelungen.« Saigyo strahlte ihn an. »Du hast Witz, kleiner Dichter, und dein Haiku hat ihn auch.«
Sichtbar erleichtert kehrte Yori an seinen Platz neben Jack zurück.
»Bravo«, sagte Jack leise und klopfte ihm auf den Rücken. »Du hast gewonnen.«
Emi beugte sich vor und zischte: »Zuerst muss Takuan noch sein Haiku lesen!«
Takuan verbeugte sich vor Saigyo und las laut und selbstbewusst vor:
»Tempelglocke
eine Wolke von Kirschblüten
Himmel? Hanami?« [10]
Emi klatschte laut und die anderen Schüler fielen ein.
Saigyo nickte anerkennend und ein zufriedenes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Du schreibst so rein wie weiße Jade. Du kommst ohne Schnörkel und schmückendes Beiwerk geradewegs auf den Kern der Sache zu sprechen. Das ist ein Haiku im besten Sinn.«
Takuan verbeugte sich dankbar und kehrte an seinen Platz neben Emi zurück. Sensei Nakamuras Trauermiene hellte sich für einen kurzen Augenblick auf und leuchtete vor Stolz.
Saigyo besprach sich leise mit ihr und unter den Schülern wuchs die Spannung. Kurz darauf wandte Sensei Nakamura sich an die Klasse.
»Saigyo-san sag t …«
28
Der gute Verlierer
» … er kann sich nicht für einen Sieger entscheiden.«
»Wir haben zwei Dichter, die sich in ihrer Kunst so gleich sind wie die Erbsen einer Schote«, erklärte Saigyo.
Sofort verbreitete sich in der Halle aufgeregtes Getuschel, wer wohl die beiden aussichtsreichsten Kandidaten sein könnten. Jack hoffte, dass Yori einer von ihnen war. Yori konnte eine Stärkung seines Selbstbewusstseins dringend gebrauchen.
Sobald sich die Aufregung über das Unentschieden etwas gelegt hatte, fuhr Saigyo fort. »Ich schlage ein maekuzuke der beiden besten Kandidaten vor.«
Die Schüler erstarrten, doch nicht vor Kälte, sondern vor Spannung.
Sensei Nakamura trat vor und erklärte die Regeln.
»Unser Ehrengast wird ein kurzes, zweizeiliges Gedicht vorgeben, die beiden Kandidaten fügen ein Haiku von sich hinzu, sodass ein vollständiges tanka entsteht. Das Haiku wird danach beurteilt, wie originell es ist und wie gut es zu den vorgegebenen Versen passt. Die Kandidaten müssen aus dem Stegreif dichten.«
Beeinducktes Murmeln verbreitete sich angesichts dieser schweren Aufgabe.
»Yori-kun und Takuan-kun, tretet vor.«
Yori sah Sensei Nakamura verdattert an. Er wirkte so verschreckt und überrascht wie ein auf offenem Feld gestelltes Kaninchen.
»Keine Angst«, flüsterte Jack. »Du bist doch ein Naturtalent als Dichter.«
Takuan sprang auf und trat vor. Geduldig warteten die Schüler, bis auch Yori aufgestanden und zögernd neben Takuan getreten war.
Saigyo begrüßte ihn mit einem beruhigenden Lächeln.
»Die
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