Samurai 3: Der Weg des Drachen
Schatten.
»Warum sollte ich Jack Fletcher brauchen?«
»Der Portolan ist verschlüsselt. Nur der Junge kennt den Code.«
»Woher weißt du das?« Der Mann hatte alarmiert die Stimme erhoben. »Hast du versucht, das Buch zu lesen?«
Der Ninja nickte. »Ja. Nachdem ich beim ersten Mal versehentlich ein Portugiesischlexikon gebracht habe, erschien es mir ratsam, diesmal den Inhalt zu überprüfen.«
»Und konntest du etwas verstehen?«
»Nur wenig. Die Verbindung von Portugiesisch und Englisch macht den Code unerwartet kompliziert.«
»Egal, das spielt keine Rolle.« Der Mann schien erleichtert, dass der Ninja das Buch nicht hatte entschlüsseln können. »Im Kerker sitzt ein Franziskaner, der Mathematiker ist und beide Sprachen fließend spricht. Man braucht ihm nur die Freiheit zu versprechen und er wird uns zu Diensten stehen.«
»Und der Junge?«, fragte Drachenauge. »Der Gaijin?«
»Sobald der Code entschlüsselt ist, führst du deinen Auftrag zu Ende«, befahl der Mann und kniete sich wieder vor den Altar. »Töte ihn!«
1
Die Krücke
Das Blut dröhnte Jack in den Ohren, sein Herz raste und er bekam keine Luft mehr. Doch er durfte jetzt nicht stehen bleiben.
Blindlings brach er durch den Bambuswald, ein Labyrinth dicker Stängel, die wie knochige Finger zu einem Dach olivgrüner Blätter aufragten.
»In welche Richtung ist er gelaufen?«, rief jemand hinter ihm.
Jack hielt nicht an. Obwohl seine Muskeln protestierten, wollte er die Verfolgung nicht aufgeben. Seit seiner schicksalhaften Ankunft in Japan war der Ninja Drachenauge zum Fluch seines Daseins geworden. Nach dem Schiffbruch der Alexandria hatte Drachenauge seinen Vater ermordet, anschließend ihn selbst verfolgt und ihm zuletzt den Portolan seines Vaters gestohlen.
Jack hatte verhindern sollen, dass das kostbare Logbuch in falsche Hände geriet. Die Informationen, die es enthielt, waren nicht nur für England, sondern auch für Englands Feinde von großem Wert. Ihm selbst konnte das Logbuch die Heimkehr ermöglichen und befähigte ihn, wie sein Vater als Steuermann zu arbeiten. Er musste den Ninja unbedingt aufspüren und das Buch zurückholen.
»Er hat uns abgehängt«, stellte eine zweite Stimme ungläubig fest.
Jack wurde langsamer und sah sich um. Seine Freunde hatten Recht. Der Mann, den sie jagten, war spurlos im Dickicht verschwunden.
Yamato und Akiko holten Jack ein. Akiko musste sich setzen, um zu verschnaufen. Sie hatte sich immer noch nicht ganz von ihrer Vergiftung erholt. Ihre Haut hatte den weißen Schimmer verloren und unter den halbmondförmigen Augen lagen dunkle Ringe. Schuldbewusst senkte Jack den Blick. Auch wenn Akiko ihm keine Vorwürfe machte, war er doch an ihrem Zustand schuld. Er hatte den Portolan in der Burg von Daimyo Takatomi, dem Fürsten der Provinz Kyoto, versteckt. Dort hatte er das Buch sicher gewähnt. Jetzt wusste er es besser. Drachenauge war in die Burg eingedrungen, Akiko war Jack zu Hilfe geeilt und dabei fast getötet worden, und Daimyo Takatomi hatte in Lebensgefahr geschwebt.
»Aber wie konnte er entkommen?«, fragte Yamato und stützte sich keuchend auf einen langen Stock, seinen bo . »Er ist doch nur ein Krüppel!«
»Er hat wahrscheinlich kehrtgemacht.« Jack drehte sich um die eigene Achse und suchte das Dickicht nach Spuren ab. Er wusste, dass sein Freund ebenso darauf brannte, den Flüchtigen zu finden, wie er selbst. Vor vier Jahren hatte Drachenauge Yamatos älteren Bruder Tenno ermordet.
»Ich kann nicht glauben, dass er Akikos Perle geklaut hat!«, rief Yamato und trat wütend gegen einen Bambusstamm. Der Stamm war steinhart und Yamato schrie vor Schmerzen auf.
Akiko verdrehte seufzend die Augen. Ihr Cousin war ein unverbesserlicher Hitzkopf. »Die Perle ist nicht so wichtig«, sagte sie und band sich die langen, schwarzen Haare zurück. »Wenn wir nach Toba kommen, tauche ich nach einer neuen.«
»Darum geht es nicht. Er hat die Perle genommen, ohne uns Informationen über Drachenauge zu geben.«
Jack stimmte Yamato zu. Nur deshalb waren sie überhaupt zum Fuß des Iga-Gebirges gereist. Nachdem sie von der Samuraischule verwiesen worden waren, weil sie Daimyo Takatomi in Lebensgefahr gebracht hatten, waren sie zu Akikos Mutter nach Toba geschickt worden. Dort sollten sie abwarten, bis über ihr weiteres Schicksal entschieden wurde. Unterwegs hatte sich ihr Samuraiführer Kuma-san bei einem Sturz vom Pferd die Schulter ausgerenkt. Bis er wieder reisefähig war, mussten sie in
Weitere Kostenlose Bücher