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Samuraisommer

Samuraisommer

Titel: Samuraisommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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schloss die Tür auf und öffnete
sie. Die Tür knarrte. Die Alte beugte sich vor.
    „Hier drinnen kann man ja gar nichts erkennen.“
    Sie ging zur Anrichte und knipste Licht an. Als sie zum Schrank
zurückkam, sah sie noch schrecklicher aus. Die Schatten ließen sie doppelt so
groß, doppelt so fett erscheinen.
    Sie wühlte in den Sachen im Schrank herum. Ich mochte nicht hingucken.
Papier raschelte.
    „Ha!“, sagte die Alte, reckte sich und sah mich an. „Hier gibt es
keine Schokoladenbonbons!“
    Eben, weil ihr sie geklaut habt, dachte ich. Aber ich traute mich
nicht, es auszusprechen.
    „Wie willst du das erklären, Tommy?“
    „Ich weiß, dass meine Mutter mir eine Tüte voll mitgebracht hat“,
sagte ich.
    „Vielleicht sollten wir deine Mutter anrufen und sie fragen?“
    „Wir haben kein Telefon“, sagte ich. Das stimmte.
Wir hatten nie eins gehabt. In jenem Jahr bekamen alle Telefon, aber wir nicht.
Es kostete Geld. „Vielleicht sollten wir hinfahren?“
    „Sie ist nicht zu Hause.“
    „Gib zu, dass du dir das alles nur ausgedacht hast, Tommy!“
    Es war sinnlos zu antworten. In diesem Haus, im ganzen Camp gab es
keine Gerechtigkeit. Für Kinder gab es nie Gerechtigkeit.
    „Darf ich jetzt gehen?“, fragte ich.
    „Weiter schlafwandeln, meinst du?“ Sie lachte. „Findest du die Treppe
hinauf?“ Ich setzte mich in Bewegung.
    Plötzlich packte sie mich an der Schulter. Es tat weh. Ich versuchte
mich loszureißen. Jetzt lachte die Alte nicht mehr.
    „Ich hab langsam die Nase voll von dir, Tommy“, sagte sie.
    Als ich mich ihrem Griff entwunden hatte, griff sie nach meinem Ohr
und drehte es herum. Es schmerzte bis in die Haarwurzeln, so sehr, dass ich
dachte, sie würde das Ohr abreißen.
    „Vielleicht sollten wir dich nach Hause schicken.“ Sie ließ mein Ohr
los. „Dir scheint es hier ja nicht zu gefallen.“
    „Mir ... gefällt es“, sagte ich und versuchte zu erraten, ob mein Ohr
noch dran war.
    Ich musste sie anlügen, nicht nur, weil sie mir fast das Ohr abgedreht
hatte, sondern auch, weil ich einen Plan hatte. Ohne Camp war der Plan wertlos.
    „Ach? Dir gefällt es? Das ist ja was ganz Neues.“
    Ich gähnte plötzlich, mehr als nötig.
    „Darf ich jetzt wieder ins Bett gehen?“, sagte ich.
    „Wirst du weiter von den verschwundenen Schokoladenbonbons träumen?“
    Ich nickte.
    „Dann geh nach oben. Aber ich will dich nie wieder hier unten sehen,
wenn Schlafenszeit ist.“
    Was machte sie denn selbst hier mitten in der Nacht? Klaute sie
Süßigkeiten? Oder trank sie Schnaps? Ich meinte Alkohol gerochen zu haben, als
sie sich über mich beugte. Es konnte aber auch etwas in der Küche gewesen sein.
In der Küche roch es immer komisch.
    Ich ging an den Mädchenschlafsälen vorbei und die Treppe hinauf.
Wieder schrie der Vogel überm See. Es klang wie ein Schreckensschrei.
    „Was ist passiert?“
    Klops richtete sich im Bett auf, als ich in den
Schlafsaal zurückkam. „Pst, du weckst ja alle!“, flüsterte ich. „Ich dachte,
ich hätte was von unten gehört.“
    „Da war niemand“, sagte ich.
    „Dann hast du der Alten also nicht den Kopf
abgeschlagen?“ Klops kicherte. „Diesmal nicht.“
    Klops wedelte mit der Hand. Die war klein, fast
dreimal kleiner als meine und dreitausendmal kleiner als die Hand der Alten.
    „Setz dich ein bisschen zu mir und rede mit mir“,
flüsterte er. „Ich kann nicht schlafen.“
    „Wir dürfen die anderen nicht wecken“, flüsterte
ich zurück. „Nur ein Weilchen, Kenny.“
    „Leg dich hin und zähl Schafe.“
    „Das hab ich schon getan. Ich bin auf siebenhundert Schafsköpfe
gekommen.“
    „Wie ein richtiger Samurai“, flüsterte ich.
    „Glaubst du, ich werde ein richtiger Samurai,
Kenny?“
    „Morgen fangen wir an, dein Schwert zu schnitzen“, antwortete ich.
    Ich trat näher an sein Bett heran, damit nicht plötzlich der ganze
Schlafsaal auf den Beinen war. Dann würde die Alte heraufgeschossen kommen und
schimpfen.
    „Stimmt es wirklich, dass die Samurai lieber Holzschwerter benutzten
als richtige Schwerter, Kenny?“
    „Manche taten das.“
    „Warum?“
    „Das hab ich doch erzählt, Klops.“
    „Erzähl es noch mal.“
    „Morgen, wenn wir dein Schwert schnitzen.“
    „Dauert es lange? Das Schwert zu machen?“
    „Wir werden sehen. Ich weiß es nicht.“
    „Kannst du nicht von diesem Duell mit dem Holzschwert erzählen? Oder
dem Holzruder?“
    „Das hab ich doch schon mal erzählt, Klops, schon

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