Samuraisommer
imponiert mir. Kerstin saß einige Plätze von Lena
entfernt. Ich schaute Kerstin an, aber sie sah nicht zu mir. Stattdessen stand
sie auf und ging zu Lena, während die Betreuerinnen schon angelaufen kamen. Im
Übrigen war es totenstill im Speisesaal.
Dann begann es zu riechen. Eine Betreuerin führte Lena weg, damit wir
anderen nicht auch anfingen zu spucken. Ich guckte auf meinen Teller. Zwei
matschige Zwetschgen schwammen im Haferbrei. Hätte ich in den Teller gekotzt,
hätte es genauso ausgesehen und auch so geschmeckt.
Als wir in den Schlafsaal kamen, machte Klops Kotzgeräusche nach,
aber das war nicht mehr witzig.
„Sei still, Klops.“
„Wieso?“
Er sah aus, als hätte ich ihm einen Schlag versetzt und als wäre er
kurz davor, in Tränen auszubrechen.
„Das war nur da unten witzig“, sagte ich.
„Och.“ Klops ging zu seinem Bett und setzte sich. Eine Weile guckte er
aus dem Fenster, dann sah er mich an.
„Das hättest du ja nicht sagen müssen.“
„Ja, ja.“
„Bauen wir morgen an unserem Lager im Wald weiter?“
Plötzlich sah er wieder froh aus. Sein Kopf war rund, und wenn er froh
war, wirkte sein Gesicht noch runder. Er war am ganzen Körper rund und seine
Mutter schickte immer zu enge Kleidung. Vielleicht hoffte sie ständig, er würde
abnehmen, so dass die Sachen passten. Sie selbst trug riesige Kleider. Wenn
sie kam, war es, als käme ein Viermannzelt zur Tür herein.
„Das Schloss“, sagte ich. „Es heißt nicht Lager.“
„Ja, ja, das Schloss.“
„Was sollen wir sonst machen?“, sagte Micke.
Er schlief in dem Bett neben Klops. Micke war dünn wie ein Stecken und
sehnig wie ein Wacholderstamm. Wenn er und Klops nebeneinander standen, sahen
sie aus wie Wesen von zwei verschiedenen Planeten. Micke konnte überhaupt nicht
rund aussehen und er wirkte auch nie froh. Ich hatte ihn noch nie lachen hören.
Es war, als wüsste er nicht, wie das geht, lachen. Im Rang war er genau unter
mir. Wenn ich in einem anderen Auftrag unterwegs war, hatte er den Befehl. Er
war ein guter Befehlshaber und gab mir das Kommando zurück, ohne viel zu
sagen, wenn ich wiederkam.
Aber einmal, gleich zu Beginn der Wochen im Camp, war es, als wolle er
sich nicht mehr damit zufrieden geben, Nummer zwei zu sein. Ich habe ihn nicht
danach gefragt, und er hat nichts gesagt, ich hatte nur so ein Gefühl.
„Was sollen wir sonst tun“, wiederholte Micke, „als am Schloss bauen?“
Plötzlich dachte ich an Kerstin und an meinen Verrat. Ich war immer
noch fassungslos, dass ich ihr vom Schloss erzählt hatte. Herr im Himmel.
„Ja, was sollen wir sonst machen!“ Klops lachte auf.
„Wir müssen den Wallgraben verbreitern“, sagte Micke.
„Erst müssen wir einen Graben vom Bach her buddeln“, sagte Lennart,
der sich in seinem Bett ein Stück weiter hinten im Saal aufgerichtet hatte.
„Wir können doch den Wallgraben nicht verbreitern, wenn er voller
Wasser ist“, sagte Micke.
Lennart guckte ihn an. Lennart war so alt wie ich und ungefähr gleich
groß. Wir hatten die gleiche Haarfarbe und einmal hatten die Betreuerinnen uns
verwechselt. Aber ich hatte zehnmal mehr Sommersprossen als Lennart. Und er
wurde nie braun, nicht mal in diesem Sommer.
Er war auch im vergangenen Sommer im Camp gewesen und wir waren
Freunde geworden. Er hatte keine Mutter mehr. Sie war anscheinend einfach
abgehauen, ohne einen Brief oder irgendetwas zu hinterlassen. Das war nicht
leicht für Lennart. Ich hatte zuerst ihm angeboten mein Stellvertreter zu
sein, aber er hatte gesagt, er wolle über niemand anders als sich selbst
bestimmen. Er schien nicht mal erfreut gewesen zu sein, als ich es ihm anbot.
Ich dachte häufig darüber nach, was er im letzten Sommer gesagt hatte. Über
sich selbst bestimmend Wann durfte man das 1 ? Als Kind durfte man
überhaupt nichts bestimmen. Jedenfalls nicht über sich selbst. Die Erwachsenen
bestimmten über einen, obwohl sie es nicht mal schafften, mit sich selbst
fertig zu werden.
Jedenfalls hatten wir das Schloss. Und ich hatte meine Truppe. Über
die bestimmte ich, manchmal jedenfalls. Wir hatten unser eigenes Reich.
„Wir graben nicht gleich ganz bis zum Bach“, sagte Lennart zu Micke.
„Aber wir brauchen einen Kanal dorthin.“
„Das dauert doch Jahre“, sagte Klops. „Vom Bach sind es ja Meilen bis
zum Schloss.“
„Wir haben genügend Zeit“, sagte Lennart.
„Das klingt, als ob du hier bleiben wolltest“, sagte Micke.
„Hast du einen besseren Vorschlag 1 ?
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