Sancha ... : Das Tor der Myrrhe : Historischer Roman (German Edition)
dem Boden wie ein Fisch auf dem Trockenen. „ Sénher, per santa Maria, mi escoutatz ... “, flehte die Burgherrin, deren dunkles Haar bereits mit unzähligen Silberfäden durchzogen war.
Montfort, gerüstet und im Wappenrock, hatte indes nicht vor, sie anzuhören. Nach allem, was er bei der Belagerung dieser Stadt durchgemacht hatte, zählte Mitleid nicht, zumal es um Ketzerei und einen göttlichen Auftrag ging. Ungerührt trat er an den Brunnen, um zu trinken.
„Los auf, steinigen wir die Frevlerin!“, brüllte hinter ihm einer der Soldaten, und noch bevor sich Montfort umdrehte, flog der erste Stein und traf Giralda an der Schulter. Sie schrie auf vor Schmerz und der Ärmel ihres Hemdes verfärbte sich rot. Alles lachte – bis Montfort die Hand hob.
Geklingel und frommer Gesang näherten sich. Die Soldaten wichen zur Seite. Der Zug der Prälaten wälzte sich heran, angeführt vom Abt von Citeaux, Monstranzen mit sich führend, Fahnen, Wimpel, Heiligenfiguren, Reliquiare und lange Kruzifixe aus Ebenholz und Silber.
Als Amaury, der geistliche Heerführer, erfuhr, wer da im Staub am Boden lag, nickte er zufrieden und sichtlich beseelt von dem besonderen Auftrag, den ihnen Gott erteilt hatte, wie er sagte. Bischof Fulco stimmte mit kräftiger Stimme das Tedeum an und alle Umstehenden fielen in den Lobgesang ein. Nach dem Misere nostri, Domine zogen die Prälaten weiter und kaum, dass die letzten schillernden Röcke verschwunden, das Läuten der Glöckchen, die Verse und Responsen verklungen waren, hielten die Soldaten abermals Ausschau nach herumliegenden Steinen.
„Beladet einstweilen diesen Marktkarren damit, ihr tapferen Chevaliers“, rief ihnen Montfort zu und deutete auf ein klappriges, einachsiges Gefährt, das neben dem Brunnen stand. „Ich bin mit der Blutschänderin noch nicht fertig!“
Mit diesen Worten trat er vor Giralda, zog sein Messer aus dem Gürtel und hielt es hoch, damit es jeder sehen konnte. Dann bückte er sich, umfasste den Zopf der Burgherrin und riss ihr den Kopf nach hinten. Giralda schrie auf und flehte noch einmal um Gnade. Der Pöbel kreischte, jubelte, wartete darauf, dass Montfort der Frau ein Ende machte. Doch er schnitt ihr nur das Haar ab und stieß sie zurück in den Schmutz. Alles grölte begeistert, als Giralda mit den Knien ausgerechnet auf jenen Stein prallte, der sie zuvor getroffen hatte. Sie brüllte auf vor Schmerz und erneut vermischte sich ihr Blut mit dem Staub des Platzes, der gestern noch ihr Eigen war.
Wortlos, jedoch mit einer unmissverständlichen Geste, überließ Montfort sie seinen Männern. Während die einen fleißig Steine sammelten, flackerte in den Augen der anderen die Geilheit. Der erste Soldat sprang vor, löste Giraldas Fußschlinge, schlug ihr unter dem Gekreische der Umstehenden die Röcke hoch. Mit einem hässlichen Auflachen befreite er sein Gemächt und warf sich auf die Frau. Die Zuschauer rückten näher heran, die Schlange der ungeduldig Wartenden wuchs.
Das in fast allen christlichen Ländern anerkannte Kriegsrecht und der Gottesfrieden untersagte derartige Grausamkeiten, doch es gab kaum einen Heerführer, der sich wirklich daran hielt. Was Montfort betraf, so hatte ihn die Gewalt aber auch schon im Heiligen Land mitunter mit sich fortgerissen.
Gespielt gleichmütig lehnte er am Brunnen und besah sich die Notzucht. Als der nächste und der übernächste mit ihr fertig war, wunderte er sich, dass Giralda so still dalag, nicht einmal mehr wimmerte. Doch dann fiel es ihm siedend heiß ein: Sie war nicht tot. Ihre Seele hatte sich nur vorzeitig davongemacht. Durch jahrelanges Unterdrücken der Leidenschaften, so hatte es ihm Amaury erklärt, lernten die Katharer ihre Körper zu beherrschen. Nun war der Beweis erbracht, dass die Tempelritter im Unrecht waren: Giralda von Lavaur war eine Häretikerin! Luzifer, der Anstifter des Bösen, der selbst nichts vermochte, sondern Gott nur immer nachahmte, hatte sich ihrer erbarmt und ihre Seele mit sich fortgenommen. Montfort, den Topfhelm in der Armbeuge, wischte sich mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand über die Augen. Dieser verfluchte gelbe Qualm, der von den lodernden Häusern der Stadt bis hierher zog! Er brannte wie Schwefel.
Hugo von Lacy trat zu ihm heran, sich räuspernd. „Simon, der Abt wartet auf dem Richtplatz auf uns“, mahnte er leise, worauf Montfort dem Treiben ein Ende setzte. „Werft die Frevlerin in den Brunnenschacht und steinigt sie!“, rief er den Soldaten
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