Sancha ... : Das Tor der Myrrhe : Historischer Roman (German Edition)
nicht. Im Gegenteil. Er fühlte sich von Grazide beschützt, hörte sie zur Nacht beten und betete leise mit.
Am dritten oder vierten Tag jedoch wurde er unsanft aus seinem Dämmerschlaf gerissen: Eine raue Zunge fuhr ihm quer übers Gesicht. Falk schnappte nach Luft und riss die Augen auf: Eine Ziege glotzte ihn an und der Sabber tropfte ihr nur so vom Maul.
„Hau ab, du stinkt`s ja wie zehn tote Teufel!“, entfuhr es ihm ungewollt in seiner Muttersprache, und er gab dem Tier einen eher kraftlosen Tritt, worauf es dennoch meckernd das Weite suchte. Grazide erschien, lachend, einen Kübel unterm Arm.
Hagelstein hob den schweren Kopf.
„ Aie , Honigmann! Musst schon wieder scheiß`n?“
„Honigmann?“, krächzte er, seine eigene Stimme kaum erkennend. Aber es drängte ihn tatsächlich zum Stuhl.
„Nur munter den Arsch hoch!“, lachte sie. Sie zog ihm erneut die Bruche aus und schob ihm den Kübel unter. Noch während er sich dröhnend erleichterte, begann er zu ahnen, dass er der Ziege Unrecht getan hatte.
Grazide, die geschickt die fehlenden Zähne verbarg, ohne auf ihr herzliches Lachen zu verzichten, nahm den Kübel, ging hinaus und entleerte ihn geräuschvoll im Hof.
„Geht`s besser?“, fragte sie später, während sie sein Hinterteil mit Wasser und einem weichen Mooszopf säuberte.
„Kein Fieber mehr“, krähte er. „Reich mir mein Wams, es soll dein Schaden nicht sein.“
Während Grazide nun auch das Schmutzwasser hinaustrug, zählte Falk unauffällig die im Wams eingenähten Münzen. Keine fehlte. Ein gutes Weib , dachte er zufrieden, löste einen Livre aus der Samttasche und überreichte ihn Grazide. „Kauf uns Brot, Wein und Käse!“, bat er.
Sie riss die Augen auf vor Überraschung und wurde ganz rot im Gesicht, als er ihr bedeutete, sie dürfe den Rest behalten. „Das ist viel zu viel, Honigmann!“, rief sie, sich aufgeregt das Tuch zurechtrückend. Dann faselte sie noch etwas von einem bunten Huhn, das sie zu rupfen und zu braten gedachte, und lief los.
Hagelstein blieb weitere drei Tage bei Grazide ... Obwohl er seit Jahren in Treue zu Sancha, seiner Herrin, stand, hatte es natürlich immer auch „richtige Weiber“ in seinem Leben gegeben, wie er sie für sich nannte. Meist war er kurze Liebschaften mit jüngeren oder auch älteren Frauen eingegangen, doch stets außerhalb der Schlösser, wo sich die Gräfinnen gerade aufhielten. Denn Sancha war eifersüchtig wie Juno, die Schwester des Zeus. Sie teilte nicht. Sie betrachtete ihn als ihren Sklaven. Wie hatte er sich gefreut, als der alte Raymond plötzlich darauf bestand, dass er, Falk, ernsthaft seine medizinischen Studien fortsetzte. Ein Geschenk war das für ihn gewesen, ein Geschenk. Denn mit der Kräutersuche hatte er sich auch ein Stück Freiheit erkauft. Zeit, über die Sancha nicht bestimmen konnte - denn vor Raymond hatte sie Respekt.
Dass seit kurzem Petronillas Herz für ihn schlug, hatte Falk verblüfft. Zwar waren sie sich auch schon früher zugetan gewesen, doch vor seinem Ritt in die Berge war es zu mehr gekommen und Petronilla hatte danach von Heirat gesprochen. Eine ausweglose Situation für ihn, weil er in seinem jugendlichen Leichtsinn in Zaragoza einen Blutschwur abgelegt hatte, der besagte, dass er eher sterben würde, als Sancha verlassen. Und da er nicht vorhatte, zu sterben ...
„Aber wir beide könnten doch für immer in Collioure bleiben“, hatte Petronilla eingeworfen, „wie Pater Sola. Gewissermaßen als Verwalter-Ehepaar. Unser halbes Leben haben wir im Dienst der Gräfinnen verbracht, waren ihnen treugesinnt. Da sind sie uns was schuldig. Was meinst du, Falk? Soll ich mit Gräfin Sancha oder besser mit Leonora reden?“
„Darüber will ich unterwegs gründlich nachdenken“, hatte er unbestimmt geantwortet - und sich dann prompt krank gedacht.
Nun aber war Grazide in sein Leben getreten. Grazide, die nett und freundlich und hilfsbereit wie Petronilla war - aber obendrein eine Kunst beherrschte, von der er wusste, dass Petronilla sie nicht besaß: Grazide verstand es wie keine, ihm Wolllust zu bereiten. Nach den Schauern des Fiebers hatte sie ihm solche der Liebe zugefügt, wie Falk sie noch nie erlebt hatte. Kein Wunder, dass ihm am Abend vor dem Aufstieg, als es ihm wieder glänzend ging, eine Torheit unterlief: Nach mehreren Bechern warmen Weins hatte er Grazide, im Überschwang seiner Gefühle, mit allerlei Redeblumen beglückt - und ihr sämtliche Strophen von „Feil
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