Sanchas Hofnarr (German Edition)
Knie legte.
Donner und Blitz, all das wäre noch erträglich gewesen, auch dass der Böhme Schüler, die ihre Lateinaufgabe nicht ordentlich gemacht hatten, zur Strafe an die hölzernen Stützbalken binden ließ, um sie auszupeitschen. Die anderen hatten derweil laut singen müssen, damit man das Geschrei auf den Gassen nicht hörte.
Schier unerträglich hatte es Falk allerdings gefunden, dass der Böhme nachts seine Lieblinge ins Bett zog. Nie würde er jemandem erzählen können, was ihm dort widerfahren war, nicht einmal Sancha, die einiges über sein Leben in Deutschland wusste. Einzig sein Freund Freidank hatte es ihm später auf den Kopf zugesagt: „Bei Boleslâv hast du gelernt? Ei, das tut mir leid. Dieser Mann liebt hübsche Knaben, das weiß hier jeder.
Wo man den Wolf zum Hirten macht,
da sind die Schafe schlecht bewacht ...“
Falk war die Röte nur so ins Gesicht und die Tränen in die Augen geschossen, und er hatte sich schuldig und schmutzig gefühlt ...
Erneut aufgewühlt vom unendlichen Dreck seiner Kindheit, atmete Falk tief durch. Ein weiteres Mal sah er sich nach allen Richtungen um. Er war noch immer allein. Aber es dünkte ihn, das Wetter besserte sich. Er setzte sich in den Windschatten einer verkrüppelten Zwergpinie, auf einen mit Flechten bewachsenen Fels, um dort auf die Sonne zu warten. Nach einer Weile öffnete er seinen Lederbeutel, aß ein Stück Ziegenkäse und einen der Äpfel, die ihm Grazide eingepackt hatte. Dann nahm er den Wasserschlauch und trank.
Doch einmal an die Heimat gedacht, ging sie ihm nicht mehr aus dem Sinn.
Er schlug die Beine übereinander, stützte den Ellbogen auf seinen Oberschenkel, schmiegte, wie er es oft beim Nachdenken tat, die rechte Wange in seine Hand …
Hatte er eine Nacht nicht das Bett mit dem Böhmen geteilt, stritt er sich mit den anderen um die wenigen löchrigen Decken. Obwohl es eher milde Winter waren, damals, hatten sie fast jede Nacht gefroren, denn sie lagen auf blankem Stroh – wie das Vieh im Stall.
Nachdem sich Boleslâv einen jüngeren, hübscheren, zarteren Knaben ausgesucht hatte, hatte Falk Bekanntschaft mit dem Hunger gemacht.
„Dein Lehr- und Kostgeld ist aufgebraucht“, behauptete der Böhme, „verdien` dir zukünftig selbst dein Essen.“
Nun musste er mit anderen Schülern betteln gehen. Weit streckte er auf den Straßen Bambergs die Hand aus und verdankte es womöglich nur seinem gefälligen Wesen und Aussehen, dass er diese Zeit überlebte.
Als er Tertianer wurde, glaubte er genug gelernt zu haben, um bald Magister zu werden. Diesen Beruf hatte ihm sein Vater mehrfach ans Herz gelegt, der er war der Meinung gewesen, sein Zweitältester sei für das Geistliche Amt ungeeignet. Verschwiegen hatte ihm der Herr Vater jedoch, dass man, um studieren zu können, ehelich geboren sein musste. Ehelich geboren!
Fortan trieb sich Falk herum. Er bettelte nicht länger, er stahl sich sein Essen. Er machte mit Gleichgesinnten die engen Gassen der Stadt unsicher. Trank. Soff. Hurte. Sang schmutzige Lieder. Legte sich mit fürstlichen Beamten an. Saß mehrmals im Loch ...
Falks Gesicht verfinsterte sich, als er daran dachte, wie er in diesen Jahren mit einer schwarzen Larve auf dem Gesicht durch Bamberg gestromert war, um ausgerechnet diejenigen Leute zu verhöhnen, deren Arbeit er heute als nützlich und notwendig ansah: Die Nachtwächter und Kloakenreiniger.
Ja, er war ein rechter Narr gewesen, zu glauben, sich von Boleslâv dadurch reinwaschen zu können, indem er andere in den Schmutz zog. Ein Narr. Deshalb hatte er sich auch nicht sonderlich dagegen verwahrt, als die jüngste Prinzessin von Aragón, die kleine Sancha, ihn als einen solchen erkannte.
Eines Tages jedoch hatte sich in Bamberg das Blatt zum Guten gewendet. Er war auf Freidank getroffen, einen fahrenden Dichter, der anderes vortrug und sang als schäbige Lieder. Freidank, der sich damals bereits Magister nannte, stammte aus bescheidenen Verhältnissen. Und er hatte versucht, auch Falk Bescheidenheit zu lehren.
Wem das genügt, was ihm gegeben,
ist immer reich in diesem Leben ...
Falk fand den Leitsatz ungerecht. Sie disputierten. Stritten miteinander.
Einig waren sie sich gewesen, dass die zwei Stände, der hohe Adel und die Geistlichkeit, derzeit sowohl die Hoffart als auch die Gier wie ein zweischwänziges Banner vor sich hertrugen.
Ihr beider höchstes Gut jedoch – die Freiheit der Gedanken – hatte die Freunde eng aneinandergekettet :
Dass
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