Sanctus Satanas - Das 5. Gebot: Thriller (German Edition)
gewesen. Die »Instauratio«, die
Erneuerung der römisch-katholischen Kirche sei dort zwar beschlossen, aber auf
banale Dinge wie die Änderung der Gottesdienstordnung begrenzt worden. Vielen
modernen Christen, vor allem in der westlichen Welt, erschiene die
römisch-katholische Kirche heute erstrecht wie eine über der Welt stehende,
sich der Realität verweigernde, unbelehrbare Institution ohne Gehör für ihre
Basis.
»Das muss nicht zwingend mit dem Mord auf der
Engelsbrücke zu tun haben.« Marisa steckte das Blatt in eine Klarsichthülle und
sah den Papstsekretär an. »Wir lassen das untersuchen, Monsignore.«
Monsignore Belusco blieb vor Marisa stehen. »Satan
ecclesiae.« Sein Lächeln hatte etwas Spöttisches. »Lächerlich, diese
Unterschrift unter dem Brief.«
»Wörtlich übersetzt ›Widersacher der Kirche‹«, sagte
Marisa. »Nach christlichem Verständnis der gefallene Engel, der Teufel, der
Verführer der Menschen, der gegen Gott rebellierte, aber in diesem Fall wohl
eher gegen die Kirche.«
»Eine Übersetzung benötige ich nicht, Commissaria.«
Für eine Sekunde schimmerte Arroganz in den Augen des Papstsekretärs. »Diese
Unterschrift ist absurd. Und noch absurder ist, dass der Orden der Rosenkreuzer
etwas mit dem Mord zu tun haben soll. Der Konflikt zwischen dem Orden und der
Kirche war niemals groß genug, um …«
In Marisas grünen Augen blitzte Widerspruch. »Haben
die Rosenkreuzer nicht schon in ihrer ersten Schrift im 17. Jahrhundert das
Ende des Papsttums angekündigt, Monsignore?« Sie blickte zur Tür, als Oberst
Scarlatti, der Kommandant der Schweizergarde, das Büro betrat.
Commissario Bariellos Blick fiel wieder aus dem
Fenster auf den Petersplatz. Eine Menschentraube hatte sich mitten auf dem
Platz gebildet.
»Sie denken«, Monsignore Belusco sah ebenfalls zu
Oberst Scarlatti, der jetzt auf sie zukam, »jemand hat die Lehre des Ordens
aufgegriffen, um …?«
Marisa nickte. »Möglicherweise.«
»Sind das Ihre Ermittlungen?« Der Blick von Oberst
Scarlatti war abschätzig, als er hinter Bariello stehenblieb. Groß, blond und
durchtrainiert überragte der Kommandant der Schweizergarde Commissario Bariello
um Haupteslänge. »Spekulationen? Sonst nichts?«
Bariello wandte sich zu ihm um. »Unsere Ermittlungen
sind in vollem Gange, Oberst.«
Kardinal Carracas, der schweigend auf dem Stuhl neben
dem Schreibtisch sitzend zugehört hatte, atmete tief durch. »Die Frage ist, ob wir
den Papst veranlassen sollten, von seiner Auslandreise zurückzukehren.« Sein
Blick glitt zu Marisa. »Kennt die Presse die Identität des Toten?«
»Nein.« Marisa schüttelte den Kopf.
»Dann sollte das so bleiben.«
Ein unbestimmtes Gefühl ließ Bariello erneut auf den
Petersplatz blicken. Die Menschentraube auf dem Platz war größer geworden. Die
Menschen wirkten – ja, wie? Aufgeregt? Erschrocken? Entsetzt? Alle sahen zum
Petersdom zu seiner Rechten. Einige legten sich die Hände vor die Münder,
andere deuteten auf den Dom, wieder andere fotografierten.
Ihm stockte der Atem, als er ihren Blicken folgte. Der
ist verrückt!
Auf einem Vorsprung der riesigen Kuppel des Doms stand
ein Mensch, den nackten Oberkörper entblößt, ein Plakat in den erhobenen
Händen.
Oberst Scarlatti zog sein Walkie-Talkie aus dem
Halfter, als es an zu rauschen fing. »Ja?«
»Es gibt ein Problem, Oberst.« Die Männerstimme hallte
aus dem Funkgerät durch den Raum. »Ein Verrückter. Er hat sich auf die Kuppel
des Petersdoms geschlichen und seinen Oberkörper entblößt. ›In humanity we
trust.‹, übersetzt ›Wir vertrauen auf Menschlichkeit.‹, hat er sich auf die
Brust geschrieben, und auf einem Plakat, das er in den Händen hält, steht
›Banish the bad old men into hell.‹, ›Verbannt die bösen alten Männer in die
Hölle.‹«
»Wie konnte er durch die Sicherheitsschleusen
gelangen!«, brüllte Scarlatti.
»Das wissen wir noch nicht, Oberst. Das …«
»Ich komme.«
»Es gibt noch ein weiteres Problem,
Oberst. Kardinal Paul Simon Martinez ist unauffindbar. Seine Haushälterin
Schwester Anna-Maria macht sich Sorgen um ihn.«
*
Kardinal
Martinez wusste nicht, dass er bereits vermisst wurde, dass man sich um ihn
sorgte.
Tun Sie, was ich sage, Martinez. Sonst stirbt sie.
Der anonyme Anrufer hatte Martinez in seiner
Kardinalswohnung angerufen. Der Mann hatte sein Kind entführt, jedenfalls
behauptete er das, und ohne zu zögern tat Martinez in diesem Augenblick das,
was er verlangt hatte.
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