Rivalin der Götter erbin3
BUCH EINS
Vierfüßig am Morgen
S ie sieht Enefa so ähnlich, denke ich, als ich sie das erste Mal sehe.
Nicht jetzt, da sie zitternd in der Nische des Lifts steht und ihr Herzschlag so laut ist, dass er in meinen Ohren hämmert. Strenggenommen sehe ich sie gerade nicht zum ersten Mal. Im Laufe der Jahre habe ich ab und zu nach unserer Investition geschaut und bin in mondlosen Nächten aus dem Palast geschlichen. Unsere Herren fürchten Nahadoth während dieser Zeit am meisten, nicht mich. Das erste Mal begegnete ich ihr, als sie ein Säugling war. Ich kroch durch das Fenster des Kinderzimmers hinein und hockte mich auf das Gitter ihres Bettchens, um sie zu beobachten. Sie erwiderte den Blick und war ungewöhnlich still, um nicht zu sagen ernst. Andere Säuglinge waren von der sie umgebenden Welt fasziniert, aber sie war ständig mit der zweiten Seele, die in ihre eigene eingebettet war, beschäftigt. Ich wartete darauf, dass sie wahnsinnig wurde, und empfand Mitleid, aber sonst nichts.
Das nächste Mal besuchte ich sie, als sie zwei war und mit großer Entschlossenheit unsicher hinter ihrer Mutter herlief. Immer noch nicht wahnsinnig. Dann wieder, als sie fünf war. Ich sah sie auf dem Schoß ihres Vaters sitzen und andächtig seinen Geschichten über die Götter lauschen. Zu diesem Zeitpunkt war klar, dass sie bis jetzt nicht den Verstand verloren hatte und dies auch nie geschehen würde. Dennoch gab es keinen Zweifel, dass Enefas Seele sie beeinflusste. Abgesehen von ihrem Aussehen war da noch die Art, wie sie tötete. Ich beobachtete, wie sie unter der Leiche ihres ersten Mannes hervorkroch. Sie keuchte, war mit Schmutz bedeckt und hielt ein blutiges Steinmesser in der Hand. Obwohl sie erst dreizehn Jahre alt war, spürte ich keinerlei Entsetzen in ihr. Das hätte der Fall sein müssen – die Schwankungen ihres Herzens, verstärkt durch die beiden Seelen. Doch in ihrem Gesicht war nur Befriedigung zu lesen, und tief in ihrem Inneren war eine wohlbekannte Kälte. Die Frauen des Kriegerrats, die erwartet hatten, sie leiden zu sehen, tauschten unbehagliche Blicke. In den Schatten außerhalb des Kreises der älteren Frauen beobachtete ihre Mutter alles und lächelte.
Damals verliebte ich mich ein bisschen in sie.
Und jetzt zerre ich sie durch meine ungenutzten Räume, die ich noch nie einem Sterblichen gezeigt habe, und nehme sie mit zu dem körperlichen Kern meiner Seele. Ich würde sie in mein Reich mitnehmen und ihr meine wahre Seele zeigen, wenn ich könnte. Ich liebe ihr Staunen, wenn sie sich zwischen meinen Spielzeugwelten bewegt. Sie sagt mir, dass sie wunderschön sind. Ich werde weinen, wenn sie für uns stirbt.
Dann entdeckt Naha sie. Lächerlich, nicht wahr? Wir sind beide Götter, die ältesten und mächtigsten Wesen im Reich der Sterblichen und beide vernarrt in ein verschwitztes, zorniges, kleines, sterbliches Mädchen. Es geht allerdings nicht nur um ihr Aussehen, nein, es geht über ihre Wildheit, ihre spontane mütterliche Hingabe und die Geschwindigkeit, mit der sie zum tödlichen Schlag ausholt, hinaus. Sie ist mehr als Enefa, denn Enefa hat mich niemals so geliebt und war im Leben wie im Tod auch nie so leidenschaftlich. Die alte Seele wurde in irgendeiner Weise durch die neue verbessert.
Sie entscheidet sich für Nahadoth. Es macht mir nicht so viel aus. Auf ihre Weise liebt sie mich auch. Ich bin dankbar.
Und als alles zum Ende kommt, nachdem das Wunder geschehen und sie wieder eine Göttin ist, weine ich. Ich bin glücklich. Doch immer noch so furchtbar einsam.
1
Gauner, Gauner
stahl die Sonne nur aus Spaß,
reiten wirst du darauf nie,
wo willst du verstecken sie?
Am Flussufer im kühlen Nass …
I n dieser Geschichte wird es keine Tricks geben. Ich sage das, damit Ihr Euch entspannen könnt. Ihr werdet aufmerksamer zuhören, wenn Ihr nicht ständig zusammenzuckt, weil Ihr auf den Reinfall wartet. Ihr werdet nicht das Ende erreichen, um plötzlich festzustellen, dass ich mit meiner anderen Seele gesprochen oder mein Leben in ein Märchen für das ungeborene Balg einer anderen Person verwandelt habe. Ich finde derartige Dinge unaufrichtig, deshalb werde ich die Geschichte einfach so erzählen, wie ich sie erlebt habe.
Doch halt, das ist kein wirklicher Anfang. Zeit ist ein Ärgernis, aber sie sorgt für klare Strukturen. Sollte ich das hier auf die sterbliche Weise erzählen? Ja? Nun gut, dann eben linear. Laaaaangsam. Ihr benötigt Zusammenhänge.
Anfänge. Sie sind
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