Sanctus Satanas - Das 5. Gebot: Thriller (German Edition)
die
Vorgehensweise der kirchlichen Inquisition im Bilde war.
Er zog sich einen Latexhandschuh über, beugte sich
hinab und öffnete behutsam die linke Hand des Toten. Er hatte richtig gesehen;
es lag etwas darin.
Sein Blick traf den Blick von Marisas grünen Augen,
als er sich wieder aufrichtete. Sie war größer als er, was keine Kunst war. Es
war ein Reflex, seine Schultern zu straffen, um größer zu wirken, eine
lächerliche Angewohnheit, über die seine Frau Alessia mit Vergnügen spottete.
Marisas Mundwinkel zuckten. Sie hatte es bemerkt.
»Gold«, sagte sie mit Blick auf das winzige Kreuz in Bariellos Hand, auf dessen
Schnittpunkt kunstvoll eine zarte goldene Rose abgebildet war. »Das Symbol der
Rosenkreuzer.« Ihr dezentes Parfüm hüllte ihn ein, als sie neben ihn trat. »Die
Definition der Rosenkreuzer ist schwierig, Carlo. Eine Bruderschaft, ein Orden.
Manche sehen in den Rosenkreuzern eine Art Geheimbund, gegründet im 17.
Jahrhundert, mit einer spirituellen Weltanschauung.«
Bariello schloss die Hand um das Kreuz. »Vielleicht
handelt es sich auch nur um ein ausgefallenes Schmuckstück.« Er starrte auf den
Leichnam. »Wir müssen seine Identität herausfinden. Todeszeit?«
»Vor vier bis sechs Stunden«, sagte Di Lorenzo.
»Genaueres, wenn ich den Leichnam obduziert habe.«
»Eine Ketzergabel«, sagte Bariello nachdenklich. Sein
Blick glitt über die Brüstung der Brücke und das glitzernde Wasser des Tibers
hinweg. Am Ende der breiten Straße Via della
Conciliazione erhob sich die alles überragende Kuppel des Petersdoms,
das Wahrzeichen von Vatikanstadt, der Enklave der römisch-katholischen Kirche
in Rom und des Amtssitzes ihres Oberhauptes, dem Papst.
3
Du
hast mich sterben lassen.
Der allererste Sonnenstrahl fand seinen Weg in die
prunkvollen Räume und Korridore des Apostolischen Palastes im Vatikan. Doch zu
dieser frühen Morgenstunde war das Leben innerhalb der vatikanischen Mauern
noch nicht erwacht. Nur das leise Surren des Notebooks auf dem Tisch in dem
kleinen Zimmer voller Bücherregale durchbrach die Stille, während er davor saß
und auf den hellen Bildschirm starrte.
Du hast mich sterben lassen, wiederholte die klare Stimme in seinem Kopf. Nein!
Nein!, schrie er ohne einen Laut, nur in seinen Gedanken, obwohl niemand da
war, niemand ihn gehört hätte, selbst wenn er laut geschrien hätte, hier in
diesem Teil des Palastes. Nicht jeder ist geschaffen, mit Schuld zu leben,
nicht jeder fähig, sie zu ertragen.
Das Gefühl von Schuld ist wie ein Parasit, der sich
durch die Eingeweide frisst, eine Tür, die sich immer wieder auftut, auch wenn
man sich mit aller Kraft dagegen stemmt.
Niemand ahnte es.
Niemand interessierte es.
Mit unserer Schuld sind wir allein.
Du hast mich sterben lassen.
Tot! Tot! Tot! Sein Verstand wusste es, aber seine
Seele konnte es nicht aushalten, damals nicht, heute nicht. Es zerfraß ihn, trieb
ihn die tiefste Dunkelheit seiner Gedanken. Wenn er morgens aufwachte, war da
nichts, nur Hass, Selbsthass und Entsetzen.
Die goldenen Brokatvorhänge an dem kleinen Fenster
ließen ein leises Rauschen hören, als ein Windhauch sie bewegte.
Du hast mich sterben lassen.
Nein, nicht ich! Sie waren es! Mördeeeeer!
Tränen traten in seine Augen, und er atmete tief
durch, während er die Druckfunktion bei Microsoft Word betätigte und wartete,
dass der Drucker seine Hassgedanken ausspuckte.
Nummer Eins auf der Liste, die er in seinem Kopf
hatte, hatte sich erledigt. Nummer Zwei auf der Liste war Paul Simon Martinez.
Zur Hölle mit allen, die Gottes Liebe zu einer Bürde
machen!
4
Mehr
als tausend Kilometer weiter nördlich in Deutschland prasselte wenig später Regen
gegen die Fenster des Landeskriminalamtes Berlin.
Eigentlich lächerlich. Was hatte sie schon mit einem Mord in Rom zu tun?
Doch niemand anderer hätte auf das Foto des Rosenkreuzes im Google
Online-Nachrichtenticker so reagiert.
Eine Leiche war gefunden worden, vor ein
paar Stunden am heutigen Morgen auf der Engelsbrücke in Rom, mit diesem
goldenen Kreuz in der Hand. Niemand anderem hätten sich deswegen Schatten von
Erinnerungen aufgedrängt, so heftig, so unwillkürlich, dass es ihr den Atem
nahm.
Sie hört die Wellen rauschen. Sie atmet den salzigen
Geruch der Ostsee, den Gestank faulender Algen.
Wie ein Knochen aus einem Kadaver ragt das meterhohe
Kreuz über dem Eingangstor des Klosters aus dem moderigen Gemäuer.
Etwas ist hier. Etwas bewegt sich …
Lena zuckte zusammen. Der
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