Sanctus Satanas - Das 5. Gebot: Thriller (German Edition)
Psychologe ihn dazu
hatte überreden können, die Kuppel zu verlassen. Sein Arbeitgeber hatte ihm
gekündigt, nachdem er, von seiner ersten Frau geschieden, erneut geheiratet
hatte. Damit lebte er für seinen Arbeitgeber in andauender Sünde, war
untragbar, nicht mehr akzeptabel, abgeschrieben, egal, was er zuvor geleistet
hatte. Sein Arbeitgeber war die römisch-katholische Kirche. Nicht zu
glauben!
Der Essensduft aus den Restaurants, den der warme
Frühlingswind an diesem Abend durch die Gasse wehte, weckte Bariellos Sinne.
Allmählich legte sich Dunkelheit über die Stadt, und die Menschen an den
Tischen vor den Restaurants lachten, genossen ihr Leben, den Wein, das gute
Essen.
Er bog nach links ab, unterquerte die Porta Angelica,
durchschritt die Säulenkolonnaden und lief quer über den Petersplatz.
Jetzt, während der einsetzenden Dunkelheit, hatte der
Platz im Licht der Laternen und der beleuchteten Brunnen umgeben von den
Säulenkolonnaden nicht nur etwas Gigantisches, sondern auch etwas
Märchenhaftes.
Ein Hauch von Mystik lag in der Luft, aber auch von
Macht, dem jahrhundertelangen erbarmungslosen Streben nach Macht, das sich für
Bariello bereits allein in der überdimensionalen Größe des Platzes und seiner
Bauwerke offenbarte.
Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Manchmal wusste
er nicht, wer sich weiter von dieser Kirche entfernt hatte, sein Sohn, der von
ihr zutiefst verletzt worden war, oder er selbst.
Alessia sah das anders. »Der katholische Glaube ist
etwas, an dem sich die Menschen festhalten können, das ihnen Kraft gibt und die
Angst vor dem Tod nimmt«, waren die Worte seiner Frau gewesen. »Das aufgrund
der Fehler Einzelner zu verwerfen, ist doch unsinnig, selbst wenn es unseren
Sohn betrifft.«
Hinter den Säulenkolonnaden auf der
anderen Seite des Platzes sah er den Palazzo del Sant'Uffizio, wo man ihn
erwartete.
*
»Ich
bin der Weg, die Wahrheit und das Leben«, sagte Gott in der Engelsburg, während Bariello nur einen knappen
Kilometer entfernt davon den Platz überquerte.
Aber wo bist du, Herr? Warum hast du mich verlassen? Kardinal Martinez war sich bewusst, dass er
halluzinierte.
Die Stille in der ehemaligen Gefängniszelle in der
Engelsburg war laut.
Die Fesseln an Hand- und Fußgelenken schnitten
Martinez ins Fleisch. Eingesperrt, bäuchlings auf dem Boden vor sich
hinvegetierend, eingepfercht, wie ein Stück Vieh zur Schlachtung präpariert, so
fühlte er sich.
Der bleiche Mann, der ihn mit der angeblichen
Entführung seiner Tochter hierhin zur Engelsburg gelockt und ihn in dieser
ehemaligen Gefängniszelle an dem Innenhof Cortile del Teatro erwartet hatte,
hatte ihn überwältigt, gefesselt und hier eingesperrt, ohne ein Wort der
Erklärung.
»Pater noster, qui es in caelis … « Unermüdlich quälte Martinez das Vaterunser über seine
trockenen Lippen. Die Hitze, der Gestank nach Urin, den er nicht mehr bei sich
hatte halten können, der Durst, die Erinnerung an den blutigen Finger mit dem Kardinalsring
in der Spieldose seiner Tochter, die er in dem Brunnen gefunden hatte, waren
eine Qual.
Wie lange war er schon hier? Vorhin war das winzige
Fenster noch taghell gewesen. Jetzt war es golden, so wie die Lichter, die
abends die Burg anstrahlten. Er verstummte und horchte. Sein Herz begann zu
rasen. War da nicht ein Knirschen? Waren vor der Tür nicht Schritte?
Die Tür wurde aufgerissen, das Licht
blendete ihn. Krämpfe durchzuckten seine Muskeln, als er auf die Beine gestellt
wurde, ließen ihn einknicken. Doch die Hände auf beiden Seiten packten ihn,
zwangen ihn zurück auf die Beine und stießen ihn in den Innenhof hinaus. Ihm
wurde übel. Die umgebenden Mauern des Hofes drehten sich. Der Aufprall nahm ihm
den Atem, als ein Stoß in den Rücken ihn bäuchlings auf das harte Pflaster
schleuderte.
*
Der
Raum im Palazzo del Sant'Uffizio, dem Sitz der Kongregation für die
Glaubenslehre, in dem Commissario Carlo Bariello inzwischen
Kardinalstaatssekretär Josep Samuel Rodriguez, dem zweiten Mann im Vatikan, an
einem Eichenschreibtisch gegenübersaß, war stickig.
Rodriguez war ein Mann von schlanker hoher Statur um
die Siebzig, mit einer schwarzen Soutane bekleidet. Auf dem Kopf trug er die
rote Kappe, den Pileolus.
»Um direkt zur Sache zu kommen, Commissario.« Kardinal
Rodriguez lehnte sich auf seinem Stuhl hinter dem Schreibtisch zurück. »Es geht
um einen weiteren anonymen Brief, der vor einer Stunde der Wache an der Porta
Sant'Anna in die Hand gedrückt
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