Sanctus Satanas - Das 5. Gebot: Thriller (German Edition)
gekehrten Blick
auf Bariellos Halbglatze geheftet. »Ein Bruch mit ihren Traditionen würde die
katholische Kirche allmählich unterhöhlen, bis sie nur noch ein Fragment ihrer
selbst ist, Commissario. Die Abschaffung des Zölibats und die Priesterweihe von
Frauen stehen nicht zur Debatte.«
»So
manche Katholiken sehen das anders.«
»Das ist irrelevant.«
»Was steht noch in dem Brief?«
Rodriguez richtete den Blick wieder auf das Papier und
las laut vor. »Nur weil Jesus damals in einer patriarchischen Gesellschaft
gelebt hat, wo es selbst für ihn schwierig gewesen sein mag, eine Frau zu
seiner Jüngerin zu bestimmen, hat die katholische Kirche kein Recht, in der
heutigen veränderten Gesellschaft Frauen zu diskriminieren, indem sie ihnen die
Priesterweihe verweigert. Ohnehin ist es allein der Geduld und Gnade der Frauen
zu verdanken, dass sich nicht schon längst jede von ihnen von der Kirche
abgewandt hat, nachdem ihnen in vergangenen Jahrhunderten Hexerei, Geschlechtsverkehr
mit dem Teufel und die Erbsünde angelastet worden sind. Die Würdenträger der
katholischen Kirche müssen sich endlich ihrer Verantwortung gegenüber allen
Menschen stellen, egal welchen Geschlechts, egal ob hetero- oder homosexuell,
aber insbesondere auch gegenüber den Katholiken selbst. Denn durch die frühe
Taufe, durch die katholische Erziehung wird ein Katholik schon seit frühester
Kindheit geprägt und mit dem Ziel blinder Akzeptanz vor allem auf die starren
Regeln und Dogmen der katholischen Kirche eingeschworen. Fürchtet euch nicht
vor weiteren Toten in euren Reihen. Fürchtet euch vor Gottes Zorn über eure
Maßlosigkeit, auch nur anzunehmen, dass eure Wahrheit unverrückbar die absolute
Wahrheit sei und dass eure Unrechtsgesetze in Gottes Namen gerechtfertigt
seien.«
»Das ist alles, Eminenz?«
Unverhohlene Aggression spiegelte sich in Rodriguez'
Blick. »Das ist Blasphemie. Auf welcher Seite stehen Sie eigentlich?«
»Immer auf der Seite der Opfer. Überlassen
Sie mir den Brief, Eminenz. Ich werde ihn untersuchen lassen.«
*
Gierig
sog Bariello die frische Abendluft ein, als er wenig später den Palazzo del
Sant'Uffizio verlassen hatte und durch die Säulenkolonnaden zurück auf den
Petersplatz ging. »Krieg« war das richtige Wort. Selten war er sich so sicher
gewesen, dass noch weitere Morde geschehen würden.
Sein Wagen parkte in der Nähe der Engelsburg. Die
breite, schnurgerade, von hohen alten Häusern umsäumte Via della Concilliazone,
über die er vom Petersplatz zur Engelsburg lief, war hell erleuchtet.
Offenbar forderte jemand Blut. Blut für was?
Unmut über die Dogmen der katholischen Kirche, ihre
teilweise Unmenschlichkeit, ihre Sexualmoral und ihr in gewisser Weise immer
noch feindlicher Umgang mit Frauen, Unmut vor allem über die Führer dieser
streng hierarchischen Monarchie war heute selbst bei gläubigen Katholiken keine
Seltenheit mehr, Skandale nicht wegzureden. Aber das …
Was wir an Spuren haben, ist nichts. Am Ende konnten sie nicht einmal sicher sein, dass
Mörder und Briefschreiber tatsächlich identisch waren. Er wählte eine Nummer
auf seinem Handy. »Marisa, wir müssen uns in der Questura treff… Verflucht noch
mal!«
»Was ist, Carlo?«
»Vorhin, als ich noch einmal am Tatort war, war sie
noch beleuchtet. Jetzt ist sie dunkel.«
»Wovon redest du, Carlo? Wo bist du?«
»Auf der Via della Conciliazione zwischen Vatikan und Engelsburg. Die Burg ist dunkel, und auch die Laternen auf
der Engelsbrücke davor brennen nicht.« Er begann zu rennen. »Da stimmt etwas nicht!«
Die entsetzten Schreie der Menschen waren selbst in
den mehreren Hundert Metern Entfernung zu hören, die er noch von der Burg
entfernt war, als die allabendliche Beleuchtung der Burg wieder anging.
Sowohl Burg als auch Brücke erstrahlten jetzt in hellem
Licht. Doch die Schreie wollten nicht aufhören.
Als er den Platz vor der Engelburg erreichte, sah er
einige Menschen vor der Burg stehen, wild durcheinanderredend, zwei von ihnen
deuteten nach oben.
Wie vom Schlag getroffen blieb er
stehen. »Madonna mia!«
*
Kardinal
Paul Simon Martinez hörte die Schreie der Menschen und sah verschwommen einige
von ihnen tief unter sich auf der von Laternen beleuchteten Engelsbrücke
stehen. Sie blickten zu ihm hoch.
Sein von irrsinnigem Schmerz gepeinigter, nur mit einem
Lendentuch bedeckter Körper pendelte an einem Seil, das um seine Handgelenkte
gebunden war, von den Zinnen der Burg.
Seine Arme schienen ihm
Weitere Kostenlose Bücher